Auf uns gestellt

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Ab heute gibt es kein Roadbook mehr für uns oder wir müssten es uns selber schreiben. Keiner da, der uns ein Tagesprogramm vorschlägt und uns sagt, wo wir am Abend in unserem rollenden Zuhause in unser Bettchen krabbeln können. Von nun an wird alles eine Nummer langsamer laufen. Beide Arten des Reisens haben ihre Vorteile. Wir hatten eine tolle Gruppe mit sympathischen, interessanten Menschen. Ebenso unsere Guides, die eine super Arbeit gemacht haben. 

 Fürs erste ist ein Wasch- und Putztag im Programm. Wir füllen unsere Vorräte in einem großen Supermarkt auf und fahren zurück in die Stadt. Dort steuern wir einen Waschsalon an. Bei der Parkplatzsuche finde ich eine Einfahrt mit Schranke, die auf einen Hinterhof führt. Der freundliche Wächter lächelt mich an,  stellt sich vor, ich lächle zurück, stelle mich vor und zeige auf unser Auto. Er nickt, redet auf mich ein und drückt mir einen Zettel in die Hand auf den ich unser Kfz-Kennzeichen schreiben und den ich mitnehmen soll. Gesagt getan und die Schranke geht hoch, Herbert kann einfahren. Wir suchen uns ein schönes Plätzchen. Schön definieren wir hier nach Kriterien wie, nicht matschig und eben. So, nun heißt es Wäsche zusammen suchen, Betten abziehen und Waschsalon suchen.

 Wie praktisch, der Waschsalon ist im Keller eines Hauses untergebracht und keine 20 m vom Auto entfernt. Nachdem ich das Prinzip raus habe, schleppe ich meine Wäsche Beutel für Beutel in den Salon. Man kann hier mit oder ohne Service seine Wäsche waschen. Zehn Waschmaschinen und Trockner sind hier in Aktion. Ich wähle Waschen, Trocknen mit Service, das heißt, dass die Dame die Wäsche für mich nach dem Waschen in den Trockner packt und anschließend die Wäsche zusammen legt. Ich teile meine Wäsche auf vier Maschinen auf und verklickere der Dame, welche Maschine auf keinen Fall in den Trockner darf. Letztlich geht alles völlig einfach und für nur 12 € hole ich einige Stunden später alles frisch gewaschen, getrocknet und gelegt in Tüten wieder ab. Derweil gehe ich mit Paula spazieren und Herbert macht Hausputz. 

 Wir entscheiden die Nacht hier stehen zu bleiben. Denn wir stehen nicht nur gerade, sondern auch noch verhältnismäßig ruhig. Ich gehe zum Wächter und versuche zu klären, was denn das Parken kostet und ob wir bis morgen bleiben könnten. Wir lächeln beide wieder um die Wette, alles sei kein Problem und kosten würde es auch nichts. Ja, super, was wollen wir mehr?

 Mittlerweile ist es früher Abend und wir schauen uns unsere Umgebung näher an. Wir scheinen hier mitten in einer großen Studentenwohnanlage zu stehen. Außerdem lasse ich mir vom Google Übersetzer einige Plakate übersetzen und zum Schluss auch noch den Zettel, den mir der Wächter in die Hand gedrückt hatte. Wie gut, dass ich kein Russisch verstehe. Hier findet nämlich in zwei Gebäuden eine Messe statt „Eurasia“ und auf dem Zettel steht was von Fellmesse. Keine Ahnung ob der Wächter uns nun für Besucher oder Aussteller hält, wir haben ein ruhiges Plätzchen für die Nacht, mehr brauchen wir nicht.

 Wir planen noch einen weiteren Tag in Sankt Petersburg zu bleiben, um in die Eremitage zu gehen. Ein „Muss“ wenn man schon mal hier ist und in Anbetracht der wenigen Touristen eine einmalige Gelegenheit sich die Räumlichkeiten nicht mit Menschenmassen teilen zu müssen. Damit Paula genug Bewegung bekommt, jogge ich mit ihr zu unserem Stellplatz auf dem wir bereits vor ein paar Tagen übernachtet hatten. Er liegt wirklich sehr zentral auf dem Gelände eine ehemaligen Kirche. Im einstiges Gotteshaus wird heute ein Fitnessstudio betrieben und auf dem Gelände befindet sich neben einem Parkplatz noch eine Tennishalle und ein kleiner Fußballplatz. Irgendwann hat der Betreiber gemerkt, dass auch Wohnmobilisten ein wenig Geld einbringen und 10 Stellplätze eingerichtet. Für 18 € gibt es neben einem freundlichen Empfang auf dem Platz noch eine heiße Dusche in der Tennishalle. Alles ist picobello sauber, die Umkleide schön warm und das Wasser unbegrenzt und heiß. Wir stehen wieder eben und der Verkehr auf der nahe gelegenen Straße ist nachts auch halb so wild. Unsere Camperherzen sind zufrieden.

 In dieser Stadt gibt es so viel zu sehen, dass wir noch lange bleiben könnten, doch unser Bedürfnis nach Stadtleben ist erfüllt. Am Abend fahren wir noch zwei Stunden mit der Linie 1 der Sankt Petersburger Metro und bestaunen die prachtvollen Bahnhöfe, die, je nach Station bis zu 100 Meter unter der Erde liegen und damit die tiefstgelegenen der Welt sein sollen.

 Wir verlassen die Stadt und peilen nur rund 30 Kilometer südlich den Vorort Puschkin an. Hier steht der Katharienenpalast, in dem das sagenumwobene Bernsteinzimmer nachgebildet worden ist. Zu normalen Zeiten ein Touristenmagnet erster Güte und jetzt „Dank“ Corona bis auf ein paar Touristen, zumeist Einheimische, wie leergefegt. Park4Night bietet uns einen super Stellplatz (ruhig und eben ;-)) und zu Fuß erkunden wir den Ort, der mit seinen breiten Straßenzügen und zahlreichen alten, teils sanierten Villen und Palästen sehr an Potsdam erinnert. Nach einer ruhigen Nacht drehe ich eine Joggingrunde mit Paula durch die riesigen Parkanlagen. 

Bei minus 7 Grad und Sonne satt machen wir uns nach dem Frühstück auf zum Katharinenpalast und haben die Räumlichkeiten tatsächlich fast für uns ganz alleine. Was für ein Prunk. Das Bernsteinzimmer beeindruckt mich jetzt weniger, dafür die übrigen Räumlichkeiten um so mehr. 

 Wir genießen noch ein wenig das herrliche Wetter und machen uns irgendwann wieder auf den Weg Richtung Süden. Nächstes Ziel Weliki Nowgorod, eine der ältesten Städte Russlands. Noch halten wir an unseren bisherigen Reiseplänen fest und haben das Ziel in ca. zwei Wochen am Kaspischen Meer bei Astrachan zu sein. Wir haben eine Adresse von einer Tierklinik in Astrachen, wo wir das für den Grenzübertritt nach Kasachstan benötigte Gesundheitszeugnis für Paula bekommen. Mit dem Papier in der Hand haben wir dann fünf Tage Zeit über die Grenze zu fahren.

 Doch vorerst kommt es anders. In Weliki Nowgorod angekommen, es waren nur rund 160 Kilometer, scheint immer noch die Sonne.  Alles ist auf den Beinen, es ist Sonntag und die Einheimischen nutzen den herrlichen Tag, um sich die Sehenswürdigkeiten dieses Städtchens anzuschauen oder einfach nur spazieren zu gehen. Wir parken und laufen zwei Stunden kreuz und quer. Ein Hüngerchen kommt auf und wir beschließen Paula im Womo zu füttern und uns ein Restaurant zu suchen. Bei der Stellplatzsuche war mir bereits etwas aufgefallen und so landen wir in einem wirklich netten, gemütlichen, modernen Lokal namens Zavod. Es ist eine Destillerie, Bar, Shop und eben auch ein Restaurant. Den hauseigenen Wodka probieren wir nicht, dafür aber lassen wir es uns ansonsten gut gehen. 

 Bei Bier, Steak und Pasta reden wir uns die Köpfe heiß. Ich stelle zum ersten Mal den weiteren Verlauf unserer Reise in Frage. Inzwischen haben unsere Zielländer Kasachstan und Usbekistan die Einreise für Jedermann verboten. Nun wirkt sich Corona direkt auf unsere Pläne aus. Unser Russlandvisum erlaubt uns innerhalb eines Jahres den Aufenthalt von 90 Tagen im Land, wobei wir so oft Ein- und Ausreisen dürfen wie wir wollen. Wir sind bereits 30 Tage im Land, haben also noch 60 übrig. Offiziell haben Kasachstan und Usbekistan ihre Grenzen bis zum 15. April zu gemacht. Für eine direkte Reise zum Baikalsee sind wir einfach zu früh unterwegs. Mai, Juni, Juli sind da definitiv die attraktiveren Reisemonate. Ohne abschließendem Ergebnis und mit gemischten Gefühlen gehen wir ins Bett.

 Ein jeder von uns  hat schlecht geschlafen, doch nach dem Frühstück treffen wir eine gemeinsame Entscheidung. Die Grenze zu Estland ist rund 300 Kilometer entfernt. Sie soll ab morgen (17.März) für Jedermann geschlossen werden, heute sollte also ein Grenzübertritt noch möglich sein. Wir wären raus aus Russland und würden so unsere restlichen Visatage aufsparen. Finnland soll auch noch offen sein, ich kann im Internet zumindest nichts Gegenteiliges finden. Doch zwei Punkte sprechen gegen Finnland: es ist noch kalt und wir müssen heizen. In Finnland kann man jedoch kein Gas tanken und Paula müsste nochmal zum Tierarzt. Finnland verlangt eine Wurmkur, nicht älter als 120 aber auch nicht weniger als 24 Stunden vor Einreise erfolgen muss. 

 Der Grenzübertritt nach Estland läuft erstaunlich problemlos. Während die Russen sich unser Fahrzeug interessiert von innen angeschaut haben, waren die Esten eher nur daran interessiert zu erfahren, wo wir die letzten Wochen verbracht haben. Der Zöllner erkundigte sich, wo wir vor hätten zu schlafen. Fragezeichen in unseren Gesichtern??? Na im Camper natürlich. Das sei ok, denn in Estland seien alle Hotels geschlossen. Die Angst vor Corona hat auch Estland fest im Griff. 

 Ich habe nicht richtig auf die Uhr geschaut und außerdem gab es für uns wieder eine Zeitverschiebung, aber alles in allem dürfte das Grenzprozedere nicht länger als 2 Stunden gedauert haben. 

 Willkommen in Narwa, so der Name des Grenzstädtchens und auf zum nächsten Supermarkt. Hier ergeben sich für uns die gleichen Bilder, wie wir sie bisher nur aus Erzählungen von zu Hause her kannten. Leere Regale im Bereich Nudeln und Reis. Das Toilettenpapier haben sie gar nicht mehr ins Regal gefüllt, sondern lassen es gleich im Eingangsbereich auf Rollwagen stehen. Die Esten sind genauso crazy wie die Deutschen. In Russland haben wir von alledem nichts mitbekommen.

 Mit allem versorgt suchen wir uns ein Plätzchen an der Ostsee und machen als erstes einen schönen Abendspaziergang mit Paula am Strand. Dabei schneit es ohne Unterlass, eine ungewohnte Kombination: Strand und Schnee.

 

 

 

 

 

 

 

Letzte Etappe der geführten Tour

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Es geht weiter Richtung Sankt Petersburg, zwei Etappen noch. Für uns heißt dass erst einmal rund 40 Kilometer auf der Hoppelpiste von vorgestern fahren. Da es in den letzten Tagen hier taut haben wir Bedenken, dass die riesigen Matschlöcher noch größer geworden sind. Doch zu unserer großen Überraschung war die Strecke ziemlich gefroren.

Wir machen noch einen Übernachtungsstopp in Staraya Ladoga, einem ganz kleinen Örtchen am Ufer des Flüsschens Wolchow nahe dem Lagodasee gelegen, mit sehenswertem Kloster, Kirche und einem Fort. Es gibt auch noch eine kleine Besichtigungstour im Fort, die die Bedeutung der Lage dieses kleinen Ortes in der Vergangenheit deutlich macht. Danach geht es auf die letzte Etappe nach Sankt Petersburg.

 Wenn man auf Sankt Petersburg zufährt, wird man von einer endlosen Hochaussiedlung empfangen. Es werden Wohnungen gebaut ohne Ende. Rund 5 (inoffiziell 7) Millionen Einwohner wollen schließlich irgendwo wohnen und viele junge Menschen aus den Dörfern im Norden suchen ihr Glück in der Metropole. Schon gut 100/150 Kilometer vor der Stadt sieht man eine Veränderung. Orte werden „neuer“, es wird gebaut und auch die Landschaft verändert sich. Es werden Felder bestellt, es gibt sichtbar Ackerbau und Viehzucht und nicht mehr nur Wald.

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 Wir sondern uns für eine Nacht ab und suchen uns einen Stellplatz in der Stadt. Für den Nachmittag und den nächsten Tag sind jeweils Programme geplant, die hundeuntauglich sind und so müssen wir zwischendurch uns Zeit nehmen, Paula zu bespaßen. Da macht es keinen Sinn, wie der Rest der Gruppe weit außerhalb auf einem Campingplatz zu stehen.

Wir entdecken die Taxi-App Yandex und werden zu begeisterten Taxinutzern. Man gibt auf der App nur an, wohin man fahren möchte und die App sagt einem, wie lange die Fahrt dauert und was sie kostet. Letzteres richtet sich danach mit welchem Fahrzeug man fahren möchte, es gibt diverse Varianten von einfach bis luxuriös. Wir entscheiden uns stets für die zweite Kategorie „Comfort“. Die App zeigt an, um was für ein Fahrzeug es sich handelt, Model, Farbe und Kennzeichen, wo es steht und wann es da ist. Von der Bestellung bis zur Ankunft des Taxis liegen keine fünf Minuten und so sind wir für rund vier Euro schnell zurück am rund fünf Kilometer entfernten Wohnmobil. Denn eines haben wir gleich am ersten Tag festgestellt: St.P. ist riesig in der Fläche. Zum ersten Treffen sind wir zu Fuß gegangen und hatten uns sowohl zeitlich als auch entfernungstechnisch ziemlich verschätzt.

 Gemeinsam machen wir eine Stadtrundfahrt, besichtigen die Aurora, ein altes Kriegsschiff und haben die Isaakskathedrale fast für uns alleine „Dank“ Corona. Am späten Nachmittag besuchen wir noch ein Cafe, ein Sozialprojekt finanziert aus Privatspenden, das Rentnern kostenlos ein Mittagessen stellt. 400 Essen werden hier täglich ausgegeben und ein zweites Lokal dierser Art mit Platz für 1000 Gäste täglich ist im Bau.

Mehr geht nicht in so kurzer Zeit. Für die Gruppe ist hier der letzte gemeinsame Tag und so gibt es am Abend noch ein gemeinsames Abendessen. Damit wir nicht wieder den ganzen Weg in die Stadt zurück fahren müssen, nehmen wir unser „Haus“ mit und kämpfen uns knapp zwei Stunden für 12 Kilometer durch den Feierabendverkehr. In letzter Minute kommen wir an, denn um 19 Uhr soll uns ein Kleinbus zum Restaurant bringen. Etwas hektisch alles aber dafür werden wir mit einem ausgezeichneten Abendessen verwöhnt.

 Am nächsten Morgen regnet es und so stehen wir im Nassen und verabschieden uns von unseren Reisekollegen, die sich auf den Weg zur Grenze nach Estland machen. Wir haben ein paar Tüten gepackt und geben sie Kai mit. Kai kommt aus Husum, hat in seinem LKW noch reichlich Platz und nimmt unsere Schneeketten, Winterstiefel und dicken Jacken mit zu sich nach Hause. Auf diese Weise werden wir um rund 100 Kilo leichter, mal ganz abgesehen vom Platz den wir gewinnen.

 Für Herbert und mich heißt es ab jetzt, wieder alleine unterwegs zu sein. Von nun an wird die Erlebnisdichte nicht mehr so groß sein, wir werden uns für alles wieder mehr Zeit lassen.

Willkommen in der Wintermatsche

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Unser Weg führt uns weiter Richtung Sankt Petersburg. Insgesamt haben wir noch sechs gemeinsame Reisetage, bevor die geführte Tour zu Ende ist und ein jeder seinen Weg alleine fortsetzt. Wir sind die Einzigen, die bleiben werden, alle anderen fahren wieder nach Hause.

Zielort heute: Tscherepowez, eine rund 300.000 Einwohner zählende Stadt von denen alleine 40.000 im örtlichen Stahlwerk arbeiten. Im Grunde lebt also die ganze Stadt vom Stahl. Mit  unseren sieben Fahrzeugen nehmen wir den gesamten Museumsparkplatz in Beschlag. Die Einfahrt in die Stadt war recht ernüchternd. Industrie soweit das Auge reicht. Der Tag grau, nass, verhangen. Der ganze Schnee zu gigantischen Pfützen auf den Straßen geschmolzen. Kanalisation? Fehlanzeige. Überall steht Wasser und weicht den eh schon matschigen Boden noch mehr auf. Dazu Regen, Regen, Regen. Hier will man weder aussteigen noch bleiben. Doch der Werbeslogan dieser Industriemetropole lautet: „Tscherepowez, die Stadt, in der man leben will“. Ich glaube kaum, dass der Generaldirektor dieses in den 90er Jahren privatisierte und mehrheitlich nun in seinem Besitz befindlichen Kombinats, auch hier wohnt. Er soll laut Wikipedia und Forbes zu den reichsten Männern Russlands gehören.

 Der Museumsbesuch ist etwas zäh aber nicht uninteressant. Besonders auffallend, die vielen technischen interaktiven Spielereien, eine Mischung aus klassischen Schautafeln und Multimediatechnik. Wo man hinschaut Apple-Technik. Schade nur, dass die Schautafeln ausschließlich auf russisch sind. Eine junge Mitarbeiterin aus dem Werk macht die Führung, unser Dolmetscher muss übersetzen. Gut 1,5 Stunden dauert die ermüdende Museumsführung, dann geht es mit einem Bus auf das riesige Werksgelände.  Der Blick durch das Busfenster eingetrübt durch Regentropfen zeigt dicke Rohre, große Hallen und qualmende Schornsteine. Die Luft verändert sich, es stinkt  und riecht nach Bottrop, wie ein Mitreisender aus Kindheitstagen noch in Erinnerung hat.

 Wir schlängeln uns sicherlich 10 bis 15 Minuten über das Gelände bevor wir vor einer der Hallen in den Regen hinaus müssen. Über ein Treppenhaus mit Geländer aus Edelstahl laufen wir die Stufen zur Aussichtsplattform hoch. Zuvor musste noch jeder Plastikschoner über seine Schuhe streifen. Von oben können wir sehen, wie von links aus dem Dunkeln der zu einer meterlangen ca. 50 bis 80 cm breiten Schlange gegossene rot glühende Stahl auf mit Wasser gekühlten Förderanlagen über Rollen durch die ganze Halle transportiert wird. Am anderen Ende der Halle stehen Walzen, die den Stahl millimeterdünn platt walzen und ihn in Abschnitte unterteilt, bevor er zu dicken Rollen aufgerollt wird. Aber all das können wir leider nicht mehr sehen, eigentlich schade, da hatte ich ein bisschen mehr erwartet. Nach eine viertel Stunde geht es schon wieder zurück zu unseren Autos. Viel Aufwand für einen eher bescheidenen Einblick in so eine Stahlfabrik.

 Es ist bereits vier Uhr und rund 170 Kilometer Strecke liegen noch vor uns für heute. Das Timing war nicht ganz so geplant. Wir machen eine Pilotreise, da wissen auch unsere Guides manchmal noch nicht so ganz genau, was auf sie bzw. uns zukommt. Wenn sie im Vorfeld gewusst hätten, wie sich die restliche Wegstrecke heute noch gestalten wird, wäre die Planung anders gelaufen.

Ziel ist ein kleiner Ort namens Wessjegonsk. Dort wollen wir drei Nächte verbringen. Wir machen uns auf den Weg und müssen uns erst einmal in Tscherepowez durch den Feierabendverkehr wühlen. Regen, Matsch und dreckige Planschbecken, die sich in kratergroßen Schlaglöchern bilden, gilt es zu umschiffen oder zu durchfahren, je nachdem, was der Gegenverkehr zulässt. Auf er Ortsumgehung angekommen gehen die ersten 100 Kilometer gut voran. Die Straße ist ordentlich geteert, entspricht unseren Bundes- oder Landstraßen. Mit der Zeit lässt auch der Verkehr nach. Gegen sechs erreichen wir die Abbiegekoordinate und müssen nun noch 70 Kilometer Richtung Süden fahren. Mit jedem Kilometer wird die Strecke abenteuerlicher. Es beginnt zu dämmern und Schneefall setzt ein. Die Straßenverhältnisse lassen sich nur schwerlich beschreiben und sind für unsere verwöhnten Autos kaum vorstellbar. Wir können nur lachen über das Geschaukele. Von nun an geht es mit Tempo 30-35 voran. Zum Filmen und Fotos machen ist es fast zu dämmerig, ich versuche es dennoch.

 Gegen 19 Uhr halten wir an. Paula hat heute nur sehr wenig Auslauf gehabt, wobei sie allerdings bei dem Wetter selber keine Lust auf Spaziergänge hatte. Angeekelt vom Matsch blieb sie überall wie angewurzelt stehen, erledigte das Notwendigste, um gleichdarauf umzukehren. Wie der Herr so das Gescherr J . Doch nun ist alles egal und sie springt mit uns raus in die Schneereste. Zum Abend beginnt es zu frieren und wir scheuchen Paula hin und her über eine große Wiese, die im Grunde unter Wasser steht bevor wir die Weiterfahrt der letzten 30 Kilometer antreten. Inzwischen ist unsere Geschwindigkeit auf 10 Km/h gesunken.

 Immer wieder kommen wir durch mehr oder weniger verlassene Dörfer. Hier und da brennt noch Licht, doch die meisten Häuser hüllen sich in Dunkelheit und verfallen. Irgendwie verständlich, Strom gibt es, doch weder fließend Wasser noch Kanalisation. Wer möchte noch so im Jahr 2020 leben, einmal ganz abgesehen davon, dass es hier keinerlei Arbeit gibt.

 Unser Ziel, ein kleines Hotel in der Pampa, erreichen wir gegen 21 Uhr. Die letzten 14 Kilometer waren tatsächlich wieder geteert, erst im Ort fing die Schlaglochpiste wieder an. Irgendwie nicht ganz zu verstehen. Was wir in diesem Moment noch nicht wissen ist, dass wir in drei Tagen alles wieder zurück fahren dürfen ... grrrr.

 

 

Wologda

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Die Zeit der zauberhaften Winterlandschaften ist vorbei. Wir sind zurück in der grau-braunen, von gigantischen Pfützen dominierten Wirklichkeit. Es bedarf nun größter Anstrengungen und einer gehörigen Portion Phantasie hier irgendwas noch schön zu finden. Schneerest, Matsch, Müll und zerfallene Holzhäuser geben keine anheimelnde Umgebung ab. Dabei kann diese große Stadt mit seinen rund 320.000 Einwohnern sicherlich sehr grün und reizvoll sein .... im Sommer ;-).

 Es wird auch nicht schöner nur weil wir mit göttlicher Überwachung an der Mauer eines Klosters am Stadtrand von Wologda schlafen. Unsere Wohnmobile stehen am Ufer des gleichnamigen Flusses neben einer Eisenbahnbrücke auf der (gefühlt) stündlich endlos lange Güterzüge rattern, nicht ohne sich vorher durch laute Signale anzukündigen.

Im Taxi fahren wir von unserem Stellplatz aus ins Zentrum der Stadt. Die Fahrt zur Rushhour dauert ca. 30 Minuten und kostet ganze 240 Rubel (etwas über drei Euro, für einen Liter Diesel kostet 50 Rubel, 65 cent) Im Zentrum steigen wir wieder am Ufer der Wologda aus.  Wir stehen vor einem Denkmal, welches an eine alte Kirche erinnern soll und von den Einheimischen „Ofen“ genannt wird.  Piotr erzählt uns von der Geschichte seiner Heimatstadt. Doch es ist schon zu spät, wird zeitig dunkel, stürmt und nieselt leicht, da fällt es schwer, die richtige Begeisterung für diese Stadt, die einmal rund 60 Kirchen stehen hatte, aufkommen zu lassen. Ein Grad, Wind und Regen fühlen sich halt kälter an, als minus 15 Grad bei trockenem Schnee. Am Ufer entlang ein Park mit schmucken Bänken. Im Sommer sollen hier Musiker spielen. Wir sehnen uns nach einem warmes Lokal und machen uns auf dem Weg. Allein auf dieser kurzen Strecke lässt sich erahnen, was für eine wunderschöne Gegend das hier sein könnte, wenn man nur die Mittel hätte, all diese herrlichen Holzhäuser zu sanieren. Lauter kleine Villen, reich verziert mit Schnitzereien an Fenstern und Dächern. Eigentlich ein Traum.

 Irgendwann finden wir uns im Lokal „Montblanc“ ein. Hier ist Name auch Programm. Alles ist ganz in Weiß gehalten und man gibt sich vornehm mit weißen Handschuhen. Oh je, ob wir hier so richtig sind. Andererseits auch egal, wir sind die einzigen Gäste, hier ist es warm und solange es ein Bierchen und etwas zu essen gibt, soll es uns recht sein. Wir belegen einen großen runden Tisch und bestellen von der reichhaltigen Karte, die wir Dank Google Übersetzer auch lesen können. Google Übersetzer sorgt auch regelmäßig für viel Unterhaltung bei der Menüauswahl, wenn  es dann „Zarter Salat mit Cranberry Betankung“ gibt. Herbert isst meistens  griechischen Salat, weil es in einer meiner ersten Russisch Lektionen bei Bubbel als Vokabel vorkam und leicht zu merken war. Außerdem sind wir mit einer Soljanka stets gut bedient und die gibt es so gut wie überall. Ich bestelle mir ganz landestypisch  ein Boeuf Stroganoff und werde doppelt überrascht. Nicht nur dass es ohne stundenlanges Warten serviert wird, sondern auch, weil es zudem noch lecker ist.

 Ein wenig später gesellt sich noch die Frau unseres Dolmetschers zu uns, es ist schließlich sein Wohn- und Heimatort. Wir unterhalten uns über die Stadt und ihre Probleme. Neben der Unzufriedenheit mit dem unbeliebten Bürgermeister und der lokalen Politik ist ein großes Problem die hohe Zahl krimineller Jugendlicher und der dadurch entstehenden „Unterwelt“. Es gibt allein hier in Wologda vier Kinderheime mit jeweils rund 100 Kindern. Sie stammen aus schwierigen, finanziell prekären Verhältnissen. Insbesondere überforderte und arme Familien aus den Dörfern im Norden geben ihre Kinder in staatlichen Kinderheimen ab. Auch hier erreicht mich raue Wirklichkeit und ich denke an unser Gespräch mit Roman in Archangelsk zurück. Gerne würde ich mehr erfahren doch dieser riesige runde Tisch lässt kein wirkliches Gespräch, außer mit deinem Tischnachbarn zu.

 

 

Abschiedslagerfeuer

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Langsam müssen wir in südliche Richtung fahren und das Archangelsk Gebiet verlassen, da die geführte Tour sich dem Ende nähert. Ursprünglich war noch ein Zwischenstopp in Moskau geplant bevor es nach Riga gegangen wäre. Dort hätte die Reise dann am 12.März ihr offizielles Ende gefunden. Aufgrund der Wetterverhältnisse wurde die geplante Route umgeworfen. Wir sind länger im Norden geblieben, um Winter zu erleben, lassen Moskau sausen und werden diesen Teil unserer Reise in St. Petersburg beenden, bevor es für Herbert und mich alleine weiter geht.

 Die Strecke von Archangelsk nach Sankt Petersburg beträgt rund 1.200 Kilometer. Ein bisschen Programm soll zwischendurch auch noch stattfinden und so planen wir einen Winterabschiedsabend mit Lagerfeuer ein. Ein letztes Mal stehen wir im Schnee und machen Lagerfeuer. Unterwegs habe ich eingekauft. Ich möchte unseren gusseisernen Topf ausprobieren und am Lagerfeuer kochen. Es gibt Suppe für alle, ich nenne es „Russisches Allerlei“. Mein erster Outdoor-Kochversuch und ich kann sagen, es hat geschmeckt. Dazu wird noch gegrillt und alle werden satt.

 

 

Hundeschlittentour

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Hätten wir einen normalen Winter gehabt, hätten wir übers Eis fahren können und uns rund 300 Kilometer Umweg erspart. Luftlinie hätte unsere Strecke nur rund 60 Kilometer betragen. Hätte, hätte ... Wir müssen die gesamte Strecke von Pinega zurück nach Archangelsk und von dort aus weiter in die Nähe von Podgore. Das bedeutet, dass wir wieder durch das Karstgebiet mit seinen Steigungen und Kurven müssen. Doch wo wir auftauchen ist die Hilfsbereitschaft groß und wie soll es anders sein, der Streudienst hat am frühen Morgen die gesamte Strecke (ca. 20/30 Kilometer) mit Sand abgestreut. Problemlos fahren wir zeitig los und haben noch genug Zeit in Archangelsk an einer LKW- Waschstraße Wasser zu tanken und unser Wohnmobil einmal gründlich abkerchern zu lassen.

 Wir haben einen Termin. Gegen 15 Uhr sind wir zu einer Hundeschlittenfahrt angemeldet und für den nächsten Morgen ist um 9 Uhr Abfahrt zum Besuch einer Knochenschnitzerei. Also geführte Reisen sind kein Urlaub. Seit wir nicht mehr alleine unterwegs sind klingelt unser Wecker jeden Morgen spätestens um 7 Uhr und ab da ist der Rest des Tages gut getaktet.  

 Die Hundeschlittentour hätte länger sein können, denn wenn erst einmal alles vorbereitet ist, macht es durchaus viel Spaß sich durch die weiße Landschaft ziehen zu lassen. Doch der Chef betreibt sein Hobby professionell. Züchtet diese spezielle Hunderasse und nimmt an Wettkämpfen teil. Mit uns macht er quasi seine ca. 3 Kilometer langen Trainingsrunden. Zwischendurch wechselt er einzelne Hunde aus. Man muss die Hunde gut im Blick haben meinte der Trainer zu  mir. Sie können schnell die Begeisterung fürs Laufen verlieren und wenn das einmal passiert ist, kommt die Lauffreude bei den Hunden nicht wieder zurück.

 Wir verbringen den ganzen Nachmittag auf dem Gelände. Bekommen die Hunde und das ganze Drumherum gezeigt. Zwischendurch gibt es Tee. Alles wirkt sehr gepflegt und sauber. Am Abend wird noch ein zweiter Mitfahrer für die Schlussrunde gesucht und ich nehme noch einmal Platz auf dem Schlitten, um eine Runde in der Abenddämmerung zu drehen.

 Herbert bastelt derweil am Wohnmobil. Unser Abwasser ist zugefroren und der Tank randvoll. Ich hatte in Archangelsk, da wir mitten in der Stadt standen und immer wieder Leute um die Autos gingen, den Ablauf zu gemacht, was wohl keine so gute Idee war. Zwei Stunden werkelt Herbert, prokelt das Eis aus den Leitungen oder versucht die Leitungen mit dem Föhn zu erwärmen, doch nichts hilft. Beim Abendessen denken wir über Alternativlösungen nach und Herbert kommt noch eine Idee. Er bastelt aus eine alten PET-Flasche einen Trichter und befestig an der Flaschenöffnung ein Stück Schlauch. Hinter der Fahrerkabine gibt es im Blech nämlich ein Loch, warum auch immer, durch das wir den Schlauch führen. Von oben können wir jetzt heißes Wasser über die Abwasserleitung gießen und siehe da, der letzte Eispropfen löst sich und das Abwasser ergießt sich zu unseren Füßen. Gewonnen!

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Alexandrij, der Organisator unseres Programms im Oblast Archangelsg, kommt eigens die 100 Kilometer angereist, um sich von uns zu verabschieden. Zum Dank für unser Kommen hat seine Frau für jeden von uns kleine Präsente vorbereitet und ein jeder bekommt einen kleinen Magneten und selbstgemachte Marmelade. Man sieht immer wieder welch eine Bedeutung es für die Menschen hier hat, dass Touristen in ihre Gegend kommen.

           Natürlich bellen die vielen Hunde immer wieder mal und wenn einer anfängt stimmt der nächste mit ein. Ich bin gespannt, wie die kommende Nacht so wird. Im Grunde ist alles ganz ruhig, bis auf zwei oder drei Mal, was irgendwie witzig war. Ein Hund beginnt zu jaulen, so als wenn er den Mond anheult. Alle stimmen für 20 oder 30 Sekunden mit ein und mit einem Schlag ist absolute Ruhe. Auf diese Weise wurden wir am nächsten Morgen pünktlich um sieben Uhr geweckt, wie passend.

 Auf geht es zur Knochenschnitzerei. Wie sich herausstellt handelt es sich auch hier wieder um eine sog. Masterclass, das heißt hier wirklich so. Bei uns würde man vielleicht „Kurs“ oder „Workshop“ sagen. Artig hören wir der Lehrerin zu, bevor wir selber die Fräse in die Hand nehmen und zu Werke gehen. Ich erinnere mich an mein Schülerpraktikum in der 9. Klasse im Dentallabor. Schon damals war mir klar geworden, dass kreatives Handwerken nie meine Leidenschaft würde, nun das hat sich bis heute nicht geändert ;-).

 Aber dafür habe ich ein Traumdörfchen gefunden: Lomonossowo. Eine kleine Insel in der Nördlichen Dwina, die sich zu einem Zentrum für Schnitzkunst entwickelt hat. In der Vergangenheit hat man dort eine Fabrik und eine Berufsschule für Knochenschnitzerei aufgebaut. Doch die Fabrik arbeitet nicht mehr und die ursprünglich angestellten Meister arbeiten nun für ihre Kunden aus Moskau und St. Petersburg selbständig. Auch die Berufsschule scheint nicht mehr wirklich zu existieren, alles wirkte wie ausgestorben, obgleich alles gut im Schuss war. Alles wirkt idyllisch verschneit und die teils schönen Holzhäuser hatten sonnige Ausblicke auf die vereiste Nördliche Dwina.

Der Ort war in diesem Winter drei Monate vom Festland abgeschnitten, da das Eis nicht stabil genug war, um darüber zugehen bzw. zu fahren. Es ist das einzige Mal, dass wir mit Fahrzeugen über das Eis fahren. Offiziell hätten wir aus unserem Bus aussteigen und zu Fuß gehen müssen.... hätte ;-) ... hier wäre ich gerne mit unserem Womo hingefahren und länger geblieben.

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Eisbrücke

Nordrussische Dörfer

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Wir fahren an manchen Tagen rund 200 bis 300 Kilometer und kreuzen dabei keine einzige Stadt, sondern kommen nur an teils verlassenen Dörfern vorbei. Nicht immer ist klar zu erkennen, welche Häuser noch bewohnt und welche dem Verfall preisgegeben sind.

 Je nach Lage der Dörfer leben mal nur noch eine Handvoll Menschen dort oder auch mehrere Hundert. In der Masse eher Rentner aber auch alle anderen Altersgruppen. Junge Menschen wandern ab in die Städte, das Leben auf dem Land ist hart. Holzwirtschaft ist der Ursprung der heimischen Wirtschaft, alles andere wie Geschäfte, Dienstleistungen rund um Auto- und Maschinenreparaturen, Lehrer, was so im Alltag gebraucht wird, siedelt sich drum herum an. Aber, wenn es das alles gibt, sprechen wir hier schon eher von einer Stadt.

 Stehen wir mit unserem Mobil in einem Naturpark, so gibt es hier zahlreiche kleinere Arbeitsplätze im Tourismus. Fast in jedem Garten steht ein kleines Gewächshaus und auch ansonsten lebt man hier von dem, was die Natur zu bieten hat und was wir im Westen schon lange verlernt haben zu nutzen. Wer von uns kocht und legt noch ein, was Garten und Wald hergeben? Auch das Fischen und Jagen gehört zum Alltag und dient der Versorgung. In diesem Mikrokosmos der Dörfer ist das alles noch sehr gut zu beobachten.

 Ich stelle fest, dass zu einem Dorf neben der Ansammlung von, sagen wir mal mindestens drei Häusern, ein ausgewiesener und beschilderter Fußgängerüberweg gehört, dazu noch eine überdachte Bushaltestelle und eine kleine blaue Telefonstation. Erst wenn das letzte Haus einer Siedlung unbewohnt ist, dann wird auch das Telefon abmontiert und zurück bleibt die blaue Schale.

 Der Unterschied zwischen Stadt und Land kann kaum kontrastreicher sein. Bezahle ich in der Stadt meinen Einkauf im Supermarkt kontaktlos mit meiner Kreditkarte, muss auf dem Land das Wasser in Eimern aus dem nächsten Brunnen, dem See oder dem Fluss geholt werden. Geheizt wird vielfach mit Holz oder aber es stehen auch in den Dörfern kleine Fernwärmeanlagen, die gleich das ganze Dorf versorgen. Die Häuser, auch Mehrfamilienhäuser auf dem Land, haben Strom aber keine Kanalisation. Mit etwas Glück ist das Plumpsklo gleich ins Haus integriert und es entfällt der kalte Weg über den Hof. In einem Dorf ratterte Tag und Nacht ein Stromgenerator, der das Dorf mit Elektrizität versorgte. Der Krach glich einem sich im Landeanflug befindlichen Flugzeug, das nur leider nie den Weg auf den Boden fand, sondern die ganze Nacht über uns kreiste. Vermutlich hört man das irgendwann nicht mehr.

 Einen kleinen Einblick in so ein Haus auf dem Lande bzw. einer Kleinstadt hatten wir beim Besuch von Sophia und Walentina in Pinega. Im Vorgarten reichte der Schnee bis zu den Fenstern. Ein schmaler Pfad von Haustür zur Straße war freigeschoben. Im Eingangsbereich waren Holzvorräte gestapelt und Langlaufskier standen an der Wand. Zwar gab es Strom, doch kein fließendes Wasser. Die Toilette war ein Plumpsklo. Im Wohnzimmer gab es einen großen Ofen, der vom Flur aus befeuert wurde und in ihrer kleinen Küche standen zwei Tiefkühlschränke und einen großer Kühlschrank. Die TK-Schränke waren randvoll mit gesammelten Beeren und Gemüse. Gekocht wurde ebenfalls auf einem holzbefeuerten Ofen. Das Schlafzimmer war eine kleine, vom Wohnzimmer mit einem Vorhang abgetrennte Kammer.

Sophia und Walentina, zwei Frauen aus Pinega

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Wir stehen unmittelbar am Ufer des Flüsschens Pinega auf einem Hotelparkplatz. Morgens gegen 8/9 Uhr bekommen wir Besuch. So ganz richtig habe ich es gar nicht mitbekommen. Herbert und ich haben heute frei, da der Tagesausflug zu den Nenzen, einem indigenen Nomadenvolk, mit Hund nicht so ganz geeignet ist und wir Paula nicht den ganzen Tag alleine im Womo lassen wollen.

Faul sitze ich mit meiner Teetasse auf dem Sofa und betrachte das Treiben vor unserer Tür. Zwei ältere Damen scheinen sich mit den schon aktiven Wohnmobilisten zu unterhalten. Ich bin mehr mit mir und dem Wachwerden beschäftigt, als dass ich den Besuch wahrnehme. Am späten Vormittag dann kommt von der Reiseleitung die Frage, ob wir am Besuch zweier Damen interessiert seien, die über ihr Leben erzählen würden. Inzwischen bin ich wach, was für eine Frage, wir sind dabei.

Sophia, Jahrgang 1932 und Walentina Ende der 40er/Anfang der 50er geboren, zwei Schwestern, haben gehört, dass Deutsche in der Nähe sind und sich aufgemacht uns zu besuchen und uns zu sich nach Hause einzuladen.

Ich zaubere aus meinen Beständen eine Packung Mon Cherie als Gastgeschenk und gegen 17:30 Uhr geht es mit dem Bus in das ca. 10 Kilometer entfernte Dorf/Städtchen Pinega. Ganze 13 Personen, keine gerade kleine Gesellschaft, die da anrückt. Im Ort gibt es einen Supermarkt, dort kaufen unsere Guides noch schnell ein paar Dankesgeschenke ein: Tee, Gebäck und reichlich Obst.

Der Busfahrer bringt uns vor die Haustür, nicht zu verfehlen, da Sophia bereits winkend auf der Straße steht. Sie freut sich, ist stolz, dass wir Ihre Einladung angenommen haben. Drinnen erwartet uns ihre Schwester Walentina. Erst gibt es einen Vorraum in dem Holz gelagert ist, dann kommt ein Flur. Hier heißt es Jacken und Schuhe aus und hinein in die gute Stube. Der kleine Raum ist randvoll gestellt. Alle verfügbaren Sessel und Stühle haben die Frauen um den Wohnzimmertisch gereiht. Es gibt Tee und Gebäck. Die Doppelhaushälfte hat zwei Zimmer, Küche Bad. Strom ja, Toilette auch aber kein fließend Wasser. Durch die dünne Wand dringen die Geräusche aus der Nachbarhaushälfte. Es ist Walentinas Haus, Sophia wohnt näher am Fluss und ihr Häuschen wird gerade renoviert.

Sophias Eltern stammen aus Jena. Sie selber ist 1932 im ehemaligen Leningrad geboren. Sie hat noch Verwandtschaft in Thüringen. Ein paar Worte spricht sie noch Deutsch. Ihr Vater hatte als Ingenieur bei Zeiss gearbeitet und war  1930 nach Leningrad, dem heutigen St. Petersburg, beordert worden. Er sollte dort für Zeiss in einem Werk arbeiten. Die Mutter blieb anfänglich noch in Jena, bevor auch sie ein Jahr später nach Leningrad übersiedelte.

1937, Sophia war inzwischen geboren und fünf Jahre alt, holten die Kommunisten in den frühen Morgenstunden den Vater ab. Sophia schlief noch und bekam von alledem nichts mit. Dürftig bekleidet ging er mit und versprach seiner Frau das Missverständnis schnell aufzuklären und nach Hause zu kommen, doch der Vater kehrte nie wieder heim.

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Nach fünf Tagen erhielt die Mutter die Aufforderung sich mit Ihrer Tochter binnen 24 Stunden am Bahnhof im heutigen St. Petersburg einzufinden. In Güterwaggons wurden die Beiden mit vielen anderen in die Oblast Archangelsk deportiert. Angeblich würde ihr Mann dort auf sie warten. Aber da war der Vater schon längst Tod, erschossen von den Bolschewiken, was man ihr erst bei der Ankunft in Archangelsk mitteilte. Das Wort „Bolschewiken“ spukt Sophia regelrecht aus. Sie selber hat von Ihrer Mutter die wahre Geschichte erst als erwachsene Frau erfahren. Zu groß war die Sorge, dass die kleine Tochter in falscher Umgebung etwas Falsches sagt. Fortan waren Mutter und Tochter auf sich gestellt. Die kleine Sophia, zweisprachig aufgewachsen, half der Mutter beim Übersetzen.

Eine Antwort auf die Frage nach dem Warum hat sie nie wirklich gefunden. Weil er Deutscher war? Weil er zu offen im Werk die mangelnde Qualität der Arbeit und die Arbeitsbedingungen kritisiert hat? Vermutungen, keine Gewissheit. Das Schlimmste für ihre Mutter war, so erzählt uns Sophia, dass man ihr erst gesagt hat, ihr Mann würde in Archangelsk auf sie warten, obgleich sie ihn vermutlich schon am Tag seiner Verhaftung erschossen hatten. Im Jahr 2014 hat Sophias Onkel aus Thüringen bei seinen Recherchen ermittelt, dass sein Bruder in St. Petersburg beerdigt ist und es dort auch eine Grabstelle gibt. Doch der Weg dorthin war der heute 88-jährigen zu beschwerlich, sie hat die Grabstelle noch nicht besucht.

Während Sophia erzählt steht ihre Schwester die meiste Zeit hinter ihr oder sitzt neben ihr, hilft, wenn Namen fehlen oder die Erinnerung sortiert werden muss. Sophia derweil lacht auch beim Erzählen der traurigsten Dinge und wirkt unglaublich kämpferisch. Fotos machen die Runde. Wir stellen viele Fragen, sie antwortet fleißig, unser Dolmetscher hat viel zu tun.

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Mutter und Tochter heiraten beide Seemänner, die sie in Archangelsk kennen gelernt haben und bleiben in dem seinerzeit zugewiesenen Ort Pinega hängen. Sophia bekommt noch eine kleine Schwester, Walentina und gründet in den 50er Jahren ihre eigene kleine Familie. Gerne hätte sie aus Ihren Deutschkenntnissen mehr gemacht und Deutsch studiert, doch man hatte ihr sehr schnell klar gemacht, dass sie dazu als Tochter eines Kriegsfeindes keine passenden Voraussetzungen mitbringe. Nach dem frühen Tod der Mutter in den 50er Jahren verblassten ihre Deutschkenntnisse. Restliche Kenntnisse streut sie in ihre Erzählungen ein und freut sich als wir alle lachen, nachdem sie „Donnerwetter“ in die Runde ruft.

Beide Frauen sind inzwischen Witwen und müssen das harte Leben im Norden Russlands alleine meistern. Die Kinder und Enkelkinder leben im rund 150 Kilometer entfernten Archangelsk und kommen nur selten und wenn, dann im Sommer vorbei. Täglich holen die Frauen morgens 30/35 Liter Wasser von der Wasserstelle und sollte diese gefroren sein, na dann gibt es ja immer noch den Fluss, meinte Sophia. Holz kann sie auch selber hacken aber das macht sie nur noch bei kleinen Scheiten und Schnee schippen gehört ebenfalls zum täglichen Fitnessprogramm. Trinken wir auf ihre Gesundheit: за здоровый

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Zwischen Lagerfeuer und Pinega

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Zwischen unserem Walparkplatz mit Lagerfeuer und Pinega liegt ein russlandweit sehr geachtetes Museumsdorf und rund 70 Kilometer weiter gibt es sehenswerte Höhlen in einem Karstgebiet.

 Zuerst besichtigen wir das Museumsdorf. Leider sind Hunde verboten. Es ist ein großes Areal auf dem man aus verschiedenen Regionen Nordrusslands typische Häuser und Kirchen abgebaut und als Museumsdorf wieder aufgebaut hat. Mitten im Wald stehen verstreut jeweils ganze Siedlungen. Heut ist Fasching in Russland, doch der geht an uns vorbei. Hier verkleidet sich niemand. Das Besondere ist eher, dass es überall Pfannkuchen gibt aber die gibt es ja eigentlich hier eh immer und überall zu essen. Zwei Stunden lassen wir uns durch den wirklich schönen Park treiben, bevor es weiter geht zu den Höhlen.

Die Straße schlängelt sich entlang dem Flüsschen Pinega. In der Nacht zuvor hatte es erneut geschneit, alles sieht wie verzaubert aus. Wind treibt den Schnee zu kleinen Schneewehen auf die vereisten Wege. Wenn ich hier von „Flüsschen“ schreibe, dann sind das für deutsche Verhältnisse ausgewachsene breite Ströme. Für russische Verhältnisse ist es eher nur ein kleines Flüsschen. Von Ufer zu Ufer dürften es so 100 bis 150 Meter sein.

Wir treffen uns auf einem kleinen Waldparkplatz, spielen Tetris mit unseren Wohnmobilen und werden von einem Ranger des Nationalparks mit Tee und Gebäck begrüßt. Leider sind Hunde wieder nicht willkommen. Es ist ein Naturschutzgebiet und an der Leine hätte meines Erachtens gehen sollen aber der Chef sagt nein. Später erklärt er Hunde zu Waffen und deshalb seien sie hier nicht erwünscht. Nun gut, ich stelle mir Lotta vor ... sieht so eine Waffe aus ???  

Knapp zwei Stunden wandern wir im Gänsemarsch durch Fichten mit Zuckerguss. Die Höhlen sind interessant und verändern sich von Jahr zu Jahr. Im Grunde ist es ein Tal mit einem wirklich kleinen Flüsschen (jetzt also wirklich klein) auf dessen Eis wir laufen. Rechts und links geht es steil hinauf und in den Wänden des Karstgesteins sind verstreut jede Menge Höhlen. Es kommt auf den Wasserstand an, welche Höhlen zu besichtigen sind und welche nicht. Das variiert je nach Sommer und Regenmenge von Jahr zu Jahr. Die Höhlen selber stehen unter Wasser und auf dem gefrorenen klaren Eis krabbeln wir teils auf allen vieren herum und bewundern riesige Eiszapfen, die der Winter geschaffen hat.

Zurück auf unserem Parkplatz geht es weiter zu unserem nächsten Übernachtungsplatz, einem Hotelparkplatz. Doch bevor wir starten gibt uns unser Ranger noch eine Warnung mit auf den Weg. Die nächsten 30 Kilometer seien aufgrund der Karstlandschaft sehr kurvig und mit Steigungen und Gefälle versehen. Gepaart mit den vereisten Straßen bitte er uns um besondere Vorsicht und langsame Fahrweise.

Nun, die russischen Autofahrer sind mir eh immer alle zu schnell. Ich würde im Schneckentempo fahren und nie irgendwo ankommen und Herbert wählt von beidem die goldene Mitte. Doch heute bin ich gewarnt und fühle mich in meinem Bremserdasein bestätigt. Tatsächlich geht es rauf und runter nicht ohne gleich wieder in eine scharfe Kurve zu münden. Herbert fährt mir zuliebe langsam. Wir kommen über eine Kuppe mit Kurve und schwupp hat es einen der Unsrigen erwischt. Es geht steil herab und mit Mühe können wir ohne Notbremsung in den Schnee unser Fahrzeug zum Stehen bringen. Wir stehen direkt hinter einer Kuppe. Ich schlüpfe schnell in meine Stiefel, springe in den hohen Schnee, um den Nachfolgenden Fahrer, es ist nämlich das schwerste Fahrzeug unserer Gruppe, zu warnen. Er kann seine 15 bis 20 Tonnen auf der Kuppe zum Stehen bringen und so den nachfolgenden Verkehr ausbremsen. Selbst als unser Bergefahrzeug von hinten langsam angerollt kommt, ist er nicht in der Lage sein Fahrzeug oberhalb des zu Bergenden zum Stehen zu bringen, so sehr bringt ihn allein die Masse zum Rutschen. Es hätte auch nichts gebracht, da er den LKW auf dem Eis nicht hätte bergauf ziehen können.

Jetzt werden die baumelnden Lampen und Blinker am LKW mit Kabelbindern gesichert und die Abschleppseile montiert. Die Straße in beiden Richtungen abgesperrt, wird das Heck des LKW quer über das Eis gezogen und so der Wagen auf die Straße gebracht. Alles geht recht ruck zuck, nicht zuletzt, weil wir auf den letzten Kilometern quasi alle hintereinander gefahren sind und einander so gut helfen konnten. Auf geht’s die letztenHügel sind wir gewarnt und stehen irgendwann heile auf dem Hotelparkplatz, wo wir uns beim Rangieren festfahren. Da wir aber halbwegs gerade stehen ist uns das auch egal und wir bleiben für die nächsten zwei Nächte mit herrlichem Blick auf den zugefrorenen Fluss Pinega schlicht stehen.

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Lagerfeuer

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Raus aus der Stadt, rein in die Natur. Heute Nacht haben wir mitten im Wald übernachtet. Gar nicht so leicht in einer Winterlandschaft ein Plätzchen für sieben, nicht gerade zierliche, Wohnmobile zu finden. Die Straßen werden vom Winterdienst regelmäßig frei geschoben, was zu hohen Schneebergen an den Straßenrändern führt. Ist die Schneewand ebenfalls frei geschoben, kann es nur ein Weg zu einem Dorf oder zu einem Friedhof sein. Das gleiche Problem habe ich, wenn ich mit Paula spazieren gehen will. Entweder ich gehe auf der Straße oder ich versinke im Tiefschnee bis zu den Knien und habe keine Ahnung, wo der nächste Graben ist. Einzige Ausnahme ist, wenn mir ein Motorschlitten den Weg geebnet hat und ich in dessen Spur laufen kann.

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Nun, einer der beiden russischen Guides fährt ständig unsere Route am Vortag ab und macht die Strecke und den Stellplatz klar. Für heute hat er tatsächlich einen halbwegs freien Weg in den Wald gefunden, der auf einer kleinen Lichtung endete. Wir parken dicht an dicht und ein jeder springt beglückt aus seinem Auto. Irgendjemand spricht das Zauberwort „Lagerfeuer“ aus und schon eilen die Kerle zu ihren Autos. Bewaffnet mit Akkumotorsägen, Axt und Handsäge müssen drei kleinere Birken dran glauben. Es wird gesägt, zerteilt, zerhackt, dass ich den Eindruck habe, wir wollten hier überwintern. Das Feuer in Gang zu bringen benötigt so ziemlich einiges an Geschick und nicht zuletzt an Diesel. Doch irgendwann ist es vollbracht und es steigt nicht nur stinkender Qualm auf, sondern warme Flammen erleuchten unser Plätzchen. Dr. August, Baileys und heimischer Obstbrand machen die Runde. Wenn das mal kein böses Ende nimmt.

Abendessen wäre keine schlechte Idee, doch keiner mag ins Auto gehen und kochen, denn dann wäre die Stimmung hin. Das scheint unsere Reiseleitung auch gedacht zu haben und unser Guide ist zwischendurch schnell ins nächste Dorf gefahren und hat Würstchen besorgt. Stöcke werden angespitzt und alle sind begeistert wie kleine Kinder dabei und halten ihre Wurststückchen in die Glut. Stühle werden ausgepackt und mit Fellen ausgelegt. Von vorne wärmt das Feuer, eingekuschelt ins Fell, den Rest erledigt Dr. August.

Nachdem auch das letzte Holzscheit im Feuer liegt und niedergebrannt ist verschwindet ein jeder zufrieden in seine Koje. Ein entspannter, herrlicher Abend am Lagerfeuer und das bei Minustemperaturen, damit hatte ich nicht gerechnet.