Ab heute gibt es kein Roadbook mehr für uns oder wir müssten es uns selber schreiben. Keiner da, der uns ein Tagesprogramm vorschlägt und uns sagt, wo wir am Abend in unserem rollenden Zuhause in unser Bettchen krabbeln können. Von nun an wird alles eine Nummer langsamer laufen. Beide Arten des Reisens haben ihre Vorteile. Wir hatten eine tolle Gruppe mit sympathischen, interessanten Menschen. Ebenso unsere Guides, die eine super Arbeit gemacht haben.
Fürs erste ist ein Wasch- und Putztag im Programm. Wir füllen unsere Vorräte in einem großen Supermarkt auf und fahren zurück in die Stadt. Dort steuern wir einen Waschsalon an. Bei der Parkplatzsuche finde ich eine Einfahrt mit Schranke, die auf einen Hinterhof führt. Der freundliche Wächter lächelt mich an, stellt sich vor, ich lächle zurück, stelle mich vor und zeige auf unser Auto. Er nickt, redet auf mich ein und drückt mir einen Zettel in die Hand auf den ich unser Kfz-Kennzeichen schreiben und den ich mitnehmen soll. Gesagt getan und die Schranke geht hoch, Herbert kann einfahren. Wir suchen uns ein schönes Plätzchen. Schön definieren wir hier nach Kriterien wie, nicht matschig und eben. So, nun heißt es Wäsche zusammen suchen, Betten abziehen und Waschsalon suchen.
Wie praktisch, der Waschsalon ist im Keller eines Hauses untergebracht und keine 20 m vom Auto entfernt. Nachdem ich das Prinzip raus habe, schleppe ich meine Wäsche Beutel für Beutel in den Salon. Man kann hier mit oder ohne Service seine Wäsche waschen. Zehn Waschmaschinen und Trockner sind hier in Aktion. Ich wähle Waschen, Trocknen mit Service, das heißt, dass die Dame die Wäsche für mich nach dem Waschen in den Trockner packt und anschließend die Wäsche zusammen legt. Ich teile meine Wäsche auf vier Maschinen auf und verklickere der Dame, welche Maschine auf keinen Fall in den Trockner darf. Letztlich geht alles völlig einfach und für nur 12 € hole ich einige Stunden später alles frisch gewaschen, getrocknet und gelegt in Tüten wieder ab. Derweil gehe ich mit Paula spazieren und Herbert macht Hausputz.
Wir entscheiden die Nacht hier stehen zu bleiben. Denn wir stehen nicht nur gerade, sondern auch noch verhältnismäßig ruhig. Ich gehe zum Wächter und versuche zu klären, was denn das Parken kostet und ob wir bis morgen bleiben könnten. Wir lächeln beide wieder um die Wette, alles sei kein Problem und kosten würde es auch nichts. Ja, super, was wollen wir mehr?
Mittlerweile ist es früher Abend und wir schauen uns unsere Umgebung näher an. Wir scheinen hier mitten in einer großen Studentenwohnanlage zu stehen. Außerdem lasse ich mir vom Google Übersetzer einige Plakate übersetzen und zum Schluss auch noch den Zettel, den mir der Wächter in die Hand gedrückt hatte. Wie gut, dass ich kein Russisch verstehe. Hier findet nämlich in zwei Gebäuden eine Messe statt „Eurasia“ und auf dem Zettel steht was von Fellmesse. Keine Ahnung ob der Wächter uns nun für Besucher oder Aussteller hält, wir haben ein ruhiges Plätzchen für die Nacht, mehr brauchen wir nicht.
Wir planen noch einen weiteren Tag in Sankt Petersburg zu bleiben, um in die Eremitage zu gehen. Ein „Muss“ wenn man schon mal hier ist und in Anbetracht der wenigen Touristen eine einmalige Gelegenheit sich die Räumlichkeiten nicht mit Menschenmassen teilen zu müssen. Damit Paula genug Bewegung bekommt, jogge ich mit ihr zu unserem Stellplatz auf dem wir bereits vor ein paar Tagen übernachtet hatten. Er liegt wirklich sehr zentral auf dem Gelände eine ehemaligen Kirche. Im einstiges Gotteshaus wird heute ein Fitnessstudio betrieben und auf dem Gelände befindet sich neben einem Parkplatz noch eine Tennishalle und ein kleiner Fußballplatz. Irgendwann hat der Betreiber gemerkt, dass auch Wohnmobilisten ein wenig Geld einbringen und 10 Stellplätze eingerichtet. Für 18 € gibt es neben einem freundlichen Empfang auf dem Platz noch eine heiße Dusche in der Tennishalle. Alles ist picobello sauber, die Umkleide schön warm und das Wasser unbegrenzt und heiß. Wir stehen wieder eben und der Verkehr auf der nahe gelegenen Straße ist nachts auch halb so wild. Unsere Camperherzen sind zufrieden.
In dieser Stadt gibt es so viel zu sehen, dass wir noch lange bleiben könnten, doch unser Bedürfnis nach Stadtleben ist erfüllt. Am Abend fahren wir noch zwei Stunden mit der Linie 1 der Sankt Petersburger Metro und bestaunen die prachtvollen Bahnhöfe, die, je nach Station bis zu 100 Meter unter der Erde liegen und damit die tiefstgelegenen der Welt sein sollen.
Wir verlassen die Stadt und peilen nur rund 30 Kilometer südlich den Vorort Puschkin an. Hier steht der Katharienenpalast, in dem das sagenumwobene Bernsteinzimmer nachgebildet worden ist. Zu normalen Zeiten ein Touristenmagnet erster Güte und jetzt „Dank“ Corona bis auf ein paar Touristen, zumeist Einheimische, wie leergefegt. Park4Night bietet uns einen super Stellplatz (ruhig und eben ;-)) und zu Fuß erkunden wir den Ort, der mit seinen breiten Straßenzügen und zahlreichen alten, teils sanierten Villen und Palästen sehr an Potsdam erinnert. Nach einer ruhigen Nacht drehe ich eine Joggingrunde mit Paula durch die riesigen Parkanlagen.
Bei minus 7 Grad und Sonne satt machen wir uns nach dem Frühstück auf zum Katharinenpalast und haben die Räumlichkeiten tatsächlich fast für uns ganz alleine. Was für ein Prunk. Das Bernsteinzimmer beeindruckt mich jetzt weniger, dafür die übrigen Räumlichkeiten um so mehr.
Wir genießen noch ein wenig das herrliche Wetter und machen uns irgendwann wieder auf den Weg Richtung Süden. Nächstes Ziel Weliki Nowgorod, eine der ältesten Städte Russlands. Noch halten wir an unseren bisherigen Reiseplänen fest und haben das Ziel in ca. zwei Wochen am Kaspischen Meer bei Astrachan zu sein. Wir haben eine Adresse von einer Tierklinik in Astrachen, wo wir das für den Grenzübertritt nach Kasachstan benötigte Gesundheitszeugnis für Paula bekommen. Mit dem Papier in der Hand haben wir dann fünf Tage Zeit über die Grenze zu fahren.
Doch vorerst kommt es anders. In Weliki Nowgorod angekommen, es waren nur rund 160 Kilometer, scheint immer noch die Sonne. Alles ist auf den Beinen, es ist Sonntag und die Einheimischen nutzen den herrlichen Tag, um sich die Sehenswürdigkeiten dieses Städtchens anzuschauen oder einfach nur spazieren zu gehen. Wir parken und laufen zwei Stunden kreuz und quer. Ein Hüngerchen kommt auf und wir beschließen Paula im Womo zu füttern und uns ein Restaurant zu suchen. Bei der Stellplatzsuche war mir bereits etwas aufgefallen und so landen wir in einem wirklich netten, gemütlichen, modernen Lokal namens Zavod. Es ist eine Destillerie, Bar, Shop und eben auch ein Restaurant. Den hauseigenen Wodka probieren wir nicht, dafür aber lassen wir es uns ansonsten gut gehen.
Bei Bier, Steak und Pasta reden wir uns die Köpfe heiß. Ich stelle zum ersten Mal den weiteren Verlauf unserer Reise in Frage. Inzwischen haben unsere Zielländer Kasachstan und Usbekistan die Einreise für Jedermann verboten. Nun wirkt sich Corona direkt auf unsere Pläne aus. Unser Russlandvisum erlaubt uns innerhalb eines Jahres den Aufenthalt von 90 Tagen im Land, wobei wir so oft Ein- und Ausreisen dürfen wie wir wollen. Wir sind bereits 30 Tage im Land, haben also noch 60 übrig. Offiziell haben Kasachstan und Usbekistan ihre Grenzen bis zum 15. April zu gemacht. Für eine direkte Reise zum Baikalsee sind wir einfach zu früh unterwegs. Mai, Juni, Juli sind da definitiv die attraktiveren Reisemonate. Ohne abschließendem Ergebnis und mit gemischten Gefühlen gehen wir ins Bett.
Ein jeder von uns hat schlecht geschlafen, doch nach dem Frühstück treffen wir eine gemeinsame Entscheidung. Die Grenze zu Estland ist rund 300 Kilometer entfernt. Sie soll ab morgen (17.März) für Jedermann geschlossen werden, heute sollte also ein Grenzübertritt noch möglich sein. Wir wären raus aus Russland und würden so unsere restlichen Visatage aufsparen. Finnland soll auch noch offen sein, ich kann im Internet zumindest nichts Gegenteiliges finden. Doch zwei Punkte sprechen gegen Finnland: es ist noch kalt und wir müssen heizen. In Finnland kann man jedoch kein Gas tanken und Paula müsste nochmal zum Tierarzt. Finnland verlangt eine Wurmkur, nicht älter als 120 aber auch nicht weniger als 24 Stunden vor Einreise erfolgen muss.
Der Grenzübertritt nach Estland läuft erstaunlich problemlos. Während die Russen sich unser Fahrzeug interessiert von innen angeschaut haben, waren die Esten eher nur daran interessiert zu erfahren, wo wir die letzten Wochen verbracht haben. Der Zöllner erkundigte sich, wo wir vor hätten zu schlafen. Fragezeichen in unseren Gesichtern??? Na im Camper natürlich. Das sei ok, denn in Estland seien alle Hotels geschlossen. Die Angst vor Corona hat auch Estland fest im Griff.
Ich habe nicht richtig auf die Uhr geschaut und außerdem gab es für uns wieder eine Zeitverschiebung, aber alles in allem dürfte das Grenzprozedere nicht länger als 2 Stunden gedauert haben.
Willkommen in Narwa, so der Name des Grenzstädtchens und auf zum nächsten Supermarkt. Hier ergeben sich für uns die gleichen Bilder, wie wir sie bisher nur aus Erzählungen von zu Hause her kannten. Leere Regale im Bereich Nudeln und Reis. Das Toilettenpapier haben sie gar nicht mehr ins Regal gefüllt, sondern lassen es gleich im Eingangsbereich auf Rollwagen stehen. Die Esten sind genauso crazy wie die Deutschen. In Russland haben wir von alledem nichts mitbekommen.
Mit allem versorgt suchen wir uns ein Plätzchen an der Ostsee und machen als erstes einen schönen Abendspaziergang mit Paula am Strand. Dabei schneit es ohne Unterlass, eine ungewohnte Kombination: Strand und Schnee.