Unser Weg führt uns weiter Richtung Sankt Petersburg. Insgesamt haben wir noch sechs gemeinsame Reisetage, bevor die geführte Tour zu Ende ist und ein jeder seinen Weg alleine fortsetzt. Wir sind die Einzigen, die bleiben werden, alle anderen fahren wieder nach Hause.
Zielort heute: Tscherepowez, eine rund 300.000 Einwohner zählende Stadt von denen alleine 40.000 im örtlichen Stahlwerk arbeiten. Im Grunde lebt also die ganze Stadt vom Stahl. Mit unseren sieben Fahrzeugen nehmen wir den gesamten Museumsparkplatz in Beschlag. Die Einfahrt in die Stadt war recht ernüchternd. Industrie soweit das Auge reicht. Der Tag grau, nass, verhangen. Der ganze Schnee zu gigantischen Pfützen auf den Straßen geschmolzen. Kanalisation? Fehlanzeige. Überall steht Wasser und weicht den eh schon matschigen Boden noch mehr auf. Dazu Regen, Regen, Regen. Hier will man weder aussteigen noch bleiben. Doch der Werbeslogan dieser Industriemetropole lautet: „Tscherepowez, die Stadt, in der man leben will“. Ich glaube kaum, dass der Generaldirektor dieses in den 90er Jahren privatisierte und mehrheitlich nun in seinem Besitz befindlichen Kombinats, auch hier wohnt. Er soll laut Wikipedia und Forbes zu den reichsten Männern Russlands gehören.
Der Museumsbesuch ist etwas zäh aber nicht uninteressant. Besonders auffallend, die vielen technischen interaktiven Spielereien, eine Mischung aus klassischen Schautafeln und Multimediatechnik. Wo man hinschaut Apple-Technik. Schade nur, dass die Schautafeln ausschließlich auf russisch sind. Eine junge Mitarbeiterin aus dem Werk macht die Führung, unser Dolmetscher muss übersetzen. Gut 1,5 Stunden dauert die ermüdende Museumsführung, dann geht es mit einem Bus auf das riesige Werksgelände. Der Blick durch das Busfenster eingetrübt durch Regentropfen zeigt dicke Rohre, große Hallen und qualmende Schornsteine. Die Luft verändert sich, es stinkt und riecht nach Bottrop, wie ein Mitreisender aus Kindheitstagen noch in Erinnerung hat.
Wir schlängeln uns sicherlich 10 bis 15 Minuten über das Gelände bevor wir vor einer der Hallen in den Regen hinaus müssen. Über ein Treppenhaus mit Geländer aus Edelstahl laufen wir die Stufen zur Aussichtsplattform hoch. Zuvor musste noch jeder Plastikschoner über seine Schuhe streifen. Von oben können wir sehen, wie von links aus dem Dunkeln der zu einer meterlangen ca. 50 bis 80 cm breiten Schlange gegossene rot glühende Stahl auf mit Wasser gekühlten Förderanlagen über Rollen durch die ganze Halle transportiert wird. Am anderen Ende der Halle stehen Walzen, die den Stahl millimeterdünn platt walzen und ihn in Abschnitte unterteilt, bevor er zu dicken Rollen aufgerollt wird. Aber all das können wir leider nicht mehr sehen, eigentlich schade, da hatte ich ein bisschen mehr erwartet. Nach eine viertel Stunde geht es schon wieder zurück zu unseren Autos. Viel Aufwand für einen eher bescheidenen Einblick in so eine Stahlfabrik.
Es ist bereits vier Uhr und rund 170 Kilometer Strecke liegen noch vor uns für heute. Das Timing war nicht ganz so geplant. Wir machen eine Pilotreise, da wissen auch unsere Guides manchmal noch nicht so ganz genau, was auf sie bzw. uns zukommt. Wenn sie im Vorfeld gewusst hätten, wie sich die restliche Wegstrecke heute noch gestalten wird, wäre die Planung anders gelaufen.
Ziel ist ein kleiner Ort namens Wessjegonsk. Dort wollen wir drei Nächte verbringen. Wir machen uns auf den Weg und müssen uns erst einmal in Tscherepowez durch den Feierabendverkehr wühlen. Regen, Matsch und dreckige Planschbecken, die sich in kratergroßen Schlaglöchern bilden, gilt es zu umschiffen oder zu durchfahren, je nachdem, was der Gegenverkehr zulässt. Auf er Ortsumgehung angekommen gehen die ersten 100 Kilometer gut voran. Die Straße ist ordentlich geteert, entspricht unseren Bundes- oder Landstraßen. Mit der Zeit lässt auch der Verkehr nach. Gegen sechs erreichen wir die Abbiegekoordinate und müssen nun noch 70 Kilometer Richtung Süden fahren. Mit jedem Kilometer wird die Strecke abenteuerlicher. Es beginnt zu dämmern und Schneefall setzt ein. Die Straßenverhältnisse lassen sich nur schwerlich beschreiben und sind für unsere verwöhnten Autos kaum vorstellbar. Wir können nur lachen über das Geschaukele. Von nun an geht es mit Tempo 30-35 voran. Zum Filmen und Fotos machen ist es fast zu dämmerig, ich versuche es dennoch.
Gegen 19 Uhr halten wir an. Paula hat heute nur sehr wenig Auslauf gehabt, wobei sie allerdings bei dem Wetter selber keine Lust auf Spaziergänge hatte. Angeekelt vom Matsch blieb sie überall wie angewurzelt stehen, erledigte das Notwendigste, um gleichdarauf umzukehren. Wie der Herr so das Gescherr J . Doch nun ist alles egal und sie springt mit uns raus in die Schneereste. Zum Abend beginnt es zu frieren und wir scheuchen Paula hin und her über eine große Wiese, die im Grunde unter Wasser steht bevor wir die Weiterfahrt der letzten 30 Kilometer antreten. Inzwischen ist unsere Geschwindigkeit auf 10 Km/h gesunken.
Immer wieder kommen wir durch mehr oder weniger verlassene Dörfer. Hier und da brennt noch Licht, doch die meisten Häuser hüllen sich in Dunkelheit und verfallen. Irgendwie verständlich, Strom gibt es, doch weder fließend Wasser noch Kanalisation. Wer möchte noch so im Jahr 2020 leben, einmal ganz abgesehen davon, dass es hier keinerlei Arbeit gibt.
Unser Ziel, ein kleines Hotel in der Pampa, erreichen wir gegen 21 Uhr. Die letzten 14 Kilometer waren tatsächlich wieder geteert, erst im Ort fing die Schlaglochpiste wieder an. Irgendwie nicht ganz zu verstehen. Was wir in diesem Moment noch nicht wissen ist, dass wir in drei Tagen alles wieder zurück fahren dürfen ... grrrr.