Hätten wir einen normalen Winter gehabt, hätten wir übers Eis fahren können und uns rund 300 Kilometer Umweg erspart. Luftlinie hätte unsere Strecke nur rund 60 Kilometer betragen. Hätte, hätte ... Wir müssen die gesamte Strecke von Pinega zurück nach Archangelsk und von dort aus weiter in die Nähe von Podgore. Das bedeutet, dass wir wieder durch das Karstgebiet mit seinen Steigungen und Kurven müssen. Doch wo wir auftauchen ist die Hilfsbereitschaft groß und wie soll es anders sein, der Streudienst hat am frühen Morgen die gesamte Strecke (ca. 20/30 Kilometer) mit Sand abgestreut. Problemlos fahren wir zeitig los und haben noch genug Zeit in Archangelsk an einer LKW- Waschstraße Wasser zu tanken und unser Wohnmobil einmal gründlich abkerchern zu lassen.
Wir haben einen Termin. Gegen 15 Uhr sind wir zu einer Hundeschlittenfahrt angemeldet und für den nächsten Morgen ist um 9 Uhr Abfahrt zum Besuch einer Knochenschnitzerei. Also geführte Reisen sind kein Urlaub. Seit wir nicht mehr alleine unterwegs sind klingelt unser Wecker jeden Morgen spätestens um 7 Uhr und ab da ist der Rest des Tages gut getaktet.
Die Hundeschlittentour hätte länger sein können, denn wenn erst einmal alles vorbereitet ist, macht es durchaus viel Spaß sich durch die weiße Landschaft ziehen zu lassen. Doch der Chef betreibt sein Hobby professionell. Züchtet diese spezielle Hunderasse und nimmt an Wettkämpfen teil. Mit uns macht er quasi seine ca. 3 Kilometer langen Trainingsrunden. Zwischendurch wechselt er einzelne Hunde aus. Man muss die Hunde gut im Blick haben meinte der Trainer zu mir. Sie können schnell die Begeisterung fürs Laufen verlieren und wenn das einmal passiert ist, kommt die Lauffreude bei den Hunden nicht wieder zurück.
Wir verbringen den ganzen Nachmittag auf dem Gelände. Bekommen die Hunde und das ganze Drumherum gezeigt. Zwischendurch gibt es Tee. Alles wirkt sehr gepflegt und sauber. Am Abend wird noch ein zweiter Mitfahrer für die Schlussrunde gesucht und ich nehme noch einmal Platz auf dem Schlitten, um eine Runde in der Abenddämmerung zu drehen.
Herbert bastelt derweil am Wohnmobil. Unser Abwasser ist zugefroren und der Tank randvoll. Ich hatte in Archangelsk, da wir mitten in der Stadt standen und immer wieder Leute um die Autos gingen, den Ablauf zu gemacht, was wohl keine so gute Idee war. Zwei Stunden werkelt Herbert, prokelt das Eis aus den Leitungen oder versucht die Leitungen mit dem Föhn zu erwärmen, doch nichts hilft. Beim Abendessen denken wir über Alternativlösungen nach und Herbert kommt noch eine Idee. Er bastelt aus eine alten PET-Flasche einen Trichter und befestig an der Flaschenöffnung ein Stück Schlauch. Hinter der Fahrerkabine gibt es im Blech nämlich ein Loch, warum auch immer, durch das wir den Schlauch führen. Von oben können wir jetzt heißes Wasser über die Abwasserleitung gießen und siehe da, der letzte Eispropfen löst sich und das Abwasser ergießt sich zu unseren Füßen. Gewonnen!
Natürlich bellen die vielen Hunde immer wieder mal und wenn einer anfängt stimmt der nächste mit ein. Ich bin gespannt, wie die kommende Nacht so wird. Im Grunde ist alles ganz ruhig, bis auf zwei oder drei Mal, was irgendwie witzig war. Ein Hund beginnt zu jaulen, so als wenn er den Mond anheult. Alle stimmen für 20 oder 30 Sekunden mit ein und mit einem Schlag ist absolute Ruhe. Auf diese Weise wurden wir am nächsten Morgen pünktlich um sieben Uhr geweckt, wie passend.
Auf geht es zur Knochenschnitzerei. Wie sich herausstellt handelt es sich auch hier wieder um eine sog. Masterclass, das heißt hier wirklich so. Bei uns würde man vielleicht „Kurs“ oder „Workshop“ sagen. Artig hören wir der Lehrerin zu, bevor wir selber die Fräse in die Hand nehmen und zu Werke gehen. Ich erinnere mich an mein Schülerpraktikum in der 9. Klasse im Dentallabor. Schon damals war mir klar geworden, dass kreatives Handwerken nie meine Leidenschaft würde, nun das hat sich bis heute nicht geändert ;-).
Aber dafür habe ich ein Traumdörfchen gefunden: Lomonossowo. Eine kleine Insel in der Nördlichen Dwina, die sich zu einem Zentrum für Schnitzkunst entwickelt hat. In der Vergangenheit hat man dort eine Fabrik und eine Berufsschule für Knochenschnitzerei aufgebaut. Doch die Fabrik arbeitet nicht mehr und die ursprünglich angestellten Meister arbeiten nun für ihre Kunden aus Moskau und St. Petersburg selbständig. Auch die Berufsschule scheint nicht mehr wirklich zu existieren, alles wirkte wie ausgestorben, obgleich alles gut im Schuss war. Alles wirkt idyllisch verschneit und die teils schönen Holzhäuser hatten sonnige Ausblicke auf die vereiste Nördliche Dwina.
Der Ort war in diesem Winter drei Monate vom Festland abgeschnitten, da das Eis nicht stabil genug war, um darüber zugehen bzw. zu fahren. Es ist das einzige Mal, dass wir mit Fahrzeugen über das Eis fahren. Offiziell hätten wir aus unserem Bus aussteigen und zu Fuß gehen müssen.... hätte ;-) ... hier wäre ich gerne mit unserem Womo hingefahren und länger geblieben.