Archangelsk, nördlichste Stadt unserer Reise

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Die Strecke von Onega in die Gebietshauptstadt (Oblast) Archangelsk beträgt ca. 200 Kilometer.  Das Roadbook gibt eine genaue Wegführung vor und wir werden mit einer kaum befahrenen Wintermärchenlandschaft belohnt. Da wir noch tanken waren, sind wir die Letzten auf der Strecke. Mir kommt in den Sinn, dass sich dieser Weg, weil so märchenhaft und ruhig, eigentlich super für einen Test unserer Drohne eignen müsste. Gesagt, getan. Herbert hält an, wir suchen die Drohne raus, bauen sie auf und lassen sie von meiner Hand aus starten.

Da ich das Ding noch nicht steuern kann, muss Herbert auf den Beifahrersitz rutschen, die Drohne navigieren und ich fahre zur Abwechslung mal. Doch weit komme ich nicht. Nach gut 100 Metern ruft Herby nur „Stopp, ich sehe die Drohne nicht mehr“. So ein Mist, ich halte ihm auch nicht schnell genug an, nun ja, schließlich fahre ich auf Eis. Wir steigen aus, doch die Drohne ist weg. Super. Rechst und links der Straße Schneeberge und Wald, wie wollen wir dieses Miniding finden? Wir wissen nicht einmal, wo wir suchen sollen. Wir laufen hin und her. Ich halte für Herbert die Fernsteuerung und sehe mir das Bild auf dem Bildschirm genauer an, dabei kommt mir eine Idee: Es könnte sein, dass auf dem Bildschirm nicht nur Tannenzweige, sondern auch die Straße zu sehen ist. Herby beobachtet das Bild, während ich mit dem Womo rückwärts fahre und tatsächlich ist unser Haus auf Rädern irgendwann auf dem Bildschirm zu sehen. Hui, das grenzt den Suchbereich erheblich ein und wir können schon mal die Straßenseite ermitteln. Nun wechseln wir die Rollen. Ich übernehme den Bildschirm und Herbert darf in den Schnee krabbeln. Kalt, warm wärmer, stopp weiter nach links und wieder zurück ... das Spiel dauert eine Weile, bis ich Herbert bitte, nun an jedem Baum zu rütteln und siehe da irgendwann wackelte der Bildschirm und so wussten wir in welcher Fichte unsere Drohne thronte. Was für ein Glück.

So einfach runter schütteln ließ sie sich leider nicht, aber wir sind ja gut beladen und haben eine lange, zusammenschiebbare Leiter dabei. Ich krame die Leiter raus und reiche sie Herbert rüber. Er stapft zurück zu besagtem Baum und klettert soweit wie möglich hoch. Nun lässt sich die Drohne runter schütteln und landet im weichen Schnee. Was für eine Freude. Ok, das mit dem Fliegen der Drohne müssen wir wohl doch erst noch einmal in Ruhe üben.

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Typisches Bild am Straßenrand. Einheimische stellen ihren PKW nebst Anhänger ab und fahren mit dem Motorschlitten weiter bis zum bzw. auf den nächsten See zum Eisfischen.

Kurz vor Archangelsk liegt die kleine Stadt Sewerodwinsk. Diese Stadt ist Sperrgebiet und darf von uns auf keinen Fall befahren werden. Unsere Reiseleitung will ganz auf Nummer sicher gehen und so sammeln wir uns vor der Stadtumfahrung an einer Koordinate. In Kolonne geht es nun die restlichen Kilometer zu unserem Stellplatz direkt am Ufer der Nördlichen Dwina. Pünktlich reihen wir uns alle am Ufer auf und werden schnell wieder zum Anziehungspunkt für die Einheimischen. Gegen 16 Uhr kommt sogar das russische Fernsehen filmt unsere Autos und interview Kostya.

Stellplatz am Kai in Archangelsk

Stellplatz am Kai in Archangelsk

Für den nächsten Morgen hat sich ein weiteres Kamerateam angemeldet und macht ebenfalls nochmal Aufnahmen. Anschließend ist ein Stadtrundgang angekündigt. Nun aus dem Rundgang wird eine Rundfahrt von Denkmal zu Denkmal. Kann sein, dass wir Kulturbanausen sind und nicht den nötigen sittlichen Ernst für die gezeigten Skulpturen zeigen, doch für den zweiten Teil am Nachmittag mit Museumsbesuch melden wir uns gleich wieder ab. Meine ungeteilte Aufmerksamkeit hat die freundliche Stadtführerin erst, als sie von der aktuellen Problematik mit dem milden Winter spricht. Archangelsk liegt an einem riesigen Mündungsgebiet. Die Nördliche Dwina mündet in das Weiße Meer, wobei die Stadt selbst nicht direkt am Weißen Meer liegt. Hier herrschen gänzlich andere Dimensionen. Allein das Mündungsgebiet ist ca. 70 Kilometer breit und 100 Kilometer lang. Das gesamte Gebiet ist voller Inseln, die auch bewohnt sind. Es gibt ganze zwei Brücken in Archangelsk über die Nördliche Dwina, alles andere muss mit Schiffen angefahren werden oder im Winter über das Eis. Der milde Winter lässt die eigentlich für die Versorgung der Inseln dringend notwendigen Eisbrücken nicht zu. Wenn überhaupt, ist der Fluss nur zu Fuß oder mit dem Motorschlitten befahrbar.

Bis vor zwei Jahren hatte man sogar Schienen im Winter auf dem Eis verlegt, um Waren mit einem Zug transportieren zu können. Daran war in diesem Jahr nicht zu denken.

Wie sich herausstellte, waren einige von uns nicht so recht begeistert von der Stadtbesichtigung und auch die Nachmittagsplanung war nicht der Renner, da nämlich alle Reiseteilnehmer abgesagt haben. Kurz stehen wir draußen beieinander und sprechen darüber, was uns mehr interessieren würde, nämlich aktuelle Themen und Menschen und weniger Jahreszahlen längst verstorbener Persönlichkeiten. Piotr, unser Dolmetscher, organisiert tatsächlich für den Abend ein Treffen in einer Kneipe mit einem jungen Mann, der sich für benachteiligte Menschen in Archangelsk einsetzt und sich um sie kümmert.

Gegen sechs treffen wir in einem Pub Roman. Ich schätze ihn auf Anfang 30. Gleich zu Beginn unseres Treffens bedankt er sich für unser Interesse und zückt für jeden ein kleines Geschenk aus seinem Rucksack. Kleine Kekse, hübsch verziert und für die Gruppe zusammen noch einen Glasrahmen mit einem Ikonenbildchen seines Lieblingsheiligen. Wer hat hier eigentlich um das Treffen gebeten und sollte wen vielleicht beschenken??? Nun, Roman wird im gegenzug zum Essen eingeladen und bestellt sich erfreut eine Suppe und Fisch.

Offen berichtet er aus seinem Leben. Das Frage-Antwortspiel beginnt. Roman ist gehbehindert und erhält eine staatliche Behindertenrente von rund 9.000 Rubel (rund 120 €). Außerdem arbeitet er für die Kirche und bekommt dafür nochmal 10.000 Rubel (rund 135 €). Insgesamt hat er monatlich also rund 255 € zur Verfügung. Still schlucken wir ein erstes mal.  Beim Einkaufen in den Supermärkten kann ich jetzt nicht sagen, dass hier alles ausgesprochen billig sei. Aufgrund seiner Behinderung kann er ausschließlich nur mit Gehhilfen laufen.

Irgendwann ist Roman bewußt geworden, dass es viele Menschen gibt, denen es viel schlechter geht als ihm. Der Kreis der Hilfsbedürftigen ist nicht gerade klein. Kinderreiche Familien, Kranke in Hospizen, Alleinerziehende, Obdachlose. Anfangs hat er sich alleine um Einzelne gekümmert und was er tat, von seiner Rente finanziert. Inzwischen sind sie eine größere Gruppe, die sich dieser Aktion verschrieben  hat und Spenden sammelt, um Hilfsbedürftige zu unterstützen. Aber ganz wichtig ist, einfach nur für diese Menschen da zu sein. Die staatlichen Unterstützungen sind gering und nicht unbedingt dauerhaft. Auch von der Kirche kommt kein Geld. Auf meine Frage, was er am meisten benötige, habe ich eigentlich eine „materielle“ Antwort erwartet. Doch was ihm am meisten fehlt ist Ehrlichkeit der Behörden mit der Tatsache, dass es hilfsbedürftige Menschen gibt und wie viele.

Schnell sind die zwei anberaumten Stunden vorbei und wir wollen seine Zeit nicht überstrapazieren. Es ist ein gegenseitiges Erzählen. Roman hat zwischendurch immer wieder Fragen an uns, wie die Situation für Menschen mit einer Behinderung in Deutschland sei, uns so berichten wir unsererseits, was wir so wissen.

Пять тысяч километров дорог в семи домах на колёсах. Такой путь проделали гости из Германии, которые путешествуют по России. И всё это ради красот - Русского...

Onega, Stadt am Weißen Meer

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Nächstes Ziel: die Stadt Onega. Kilometerlang zieht sich die Straße entlang am gleichnamigen Fluss Onega, der hier ins Weiße Meer mündet. Eisschollen stapeln sich. Eigentlich war angedacht an irgendeiner Stelle über das Eis des Flusses zu fahren, doch der milde Winter macht uns da einen Strich durch die Rechnung und wir mussten einen großen Umweg fahren. Auf halbem Wege nach Onega treffen wir uns nochmal alle in einem kleinen Dörfchen namens Piyala. Die Holzkirche in diesem Dorf wurde Mitte des 17. Jahrhunderts erbaut und ist mit ihrem 45 Meter hohem Glockenturm die höchste Holzkirche im Norden Russlands. Sehr viele Kirchen sind zu Sowjetzeiten zerstört worden oder radikal dem Verfall preisgegeben worden nachdem man sie ihrer Ikonen und sonstigen Schätze beraubt hat. Manchmal sind nur noch Ruinen zu sehen, andere werden wiederum mit sehr viel persönlichem Engagement der Dorfbewohner und von Studentengruppen vorwiegend in den Sommermonaten restauriert. Natürlich kommt auch hier jemand, schließt uns die Gebäude auf, fegt noch schnell die Stufen frei und erzählt uns über die Kirche. Von oben hat man eine herrliche Aussicht über den Fluss Onega und das angrenzende Gebiet. Da aber der Himmel, wie so oft, grau ist, kann man nicht sehr weit sehen und alles bleibt Ton in Ton oder besser gesagt grau in grau.

Am Abend dann wird es kurzzeitig nochmal kribbelig. Unser Stellplatz liegt auf einem Berg. Es herrscht Unsicherheit, ob wir unseren Stellplatz erreichen können. Unsere Guides fahren vor und geben die Strecke frei. Die ganzen Tage schon fahren wir über pures Eis auf den Straßen und wenn nicht eines der vorderen Fahrzeuge an einer Weggabelung angehalten hätte, dann wären sicherlich auch alle oben angekommen. So aber mussten wir unglücklicher Weise an der steilsten Stelle anhalten. Die schweren Fahrzeuge rutschen auch mit angezogener Handbremse, so dass wir mit Keilen zusätzlich sichern mussten. Das Eis hat nicht nur für die Fahrzeuge seine Tücken, sondern auch für uns Menschen. Ein Reiseteilnehmer rutscht unglücklich aus, stürzt und schlägt mit dem Kopf auf. Für einen Moment ist er bewusstlos, kommt aber wieder zu sich und hat später tatsächlich einen kleinen Filmriss. Inzwischen  wird es langsam dunkel. Der Notarzt wird gerufen und zeitgleich versucht der erste mit seinem Fahrzeug anzufahren. Herbert hat Mühe beim Iveco die Sperren reinzubekommen, denn ohne rutscht er nur quer. Doch einer nach dem anderen schafft es nun die restlichen zweihundert Meter den Berg hinauf. Phu, das sind spannende Momente aber haben wir nicht genau dafür diese Reise gebucht und Geld bezahlt ;-) ??

Der Notarzt hat unseren Reisekollegen mitgenommen. Auch wenn es ihm im Augenblick gut geht, soll er zur Sicherheit im Krankenhaus untersucht werden. Gegen neun sitzen wir beim gemeinsamen Abendessen in einem nahegelegenen Hotel und feiern einen runden Geburtstag als der „Verletzte“ wieder zurück kommt und mit Jubel begrüßt wird. Er hat noch Kopfschmerzen und die Ärzte empfehlen noch eine Untersuchung in der Röhre, wenn wir in Archangelsk sind aber ansonsten ist nochmal alles gut gegangenen.

 In Onega gibt es wieder einen Tag frei, soll heißen, wir müssen nicht fahren oder besser gesagt, nicht selber fahren. Gegen 10 Uhr werden wir mit einem UAZ und einem VW-Bus abgeholt. Es geht runter in die Stadt ans Ufer des Flusses Onega. Auch hier das gleiche Problem, es ist zu warm für die Eisstraße, die normaler weise das Dorf auf der gegenüber liegenden Seite von November bis April mit der Stadt Onega verbinden würde. Derzeit geht es nur auf einem markierten Fußweg oder per Motorschlitten über das Eis. Wir fahren in kleinen Gruppen mit dem Motorschlitten rüber und werden dort wieder von zwei UAZ erwartet.

Weiter geht’s über die buckeligen Pisten in ein kleines Dörfchen namens Vorzogory. Das Besondere an diesem Ort sind dessen Lage und zwei Holzkirchen, sowie ein Glockenturm aus Holz. Die rund 20/30 Häuser, jetzt im Winter zu 90% unbewohnt, liegen leicht erhöht direkt am Weißen Meer und einem großen Sumpfgebiet im Rücken. Vom Glockenturm hat man einen genialen Blick ins Hinterland aber auch auf des Weiße Meer. Der Wind pfeift uns um die Ohren während wir dem Herrn, der uns die Gebäude zeigt und uns über das Dorf erzählt, zuhören. Auch hier werden die Kirchen, übrigens eine Sommerkirche und eine beheizbare Winterkirche, in Eigenleistung der Bewohner in den Sommermonaten renoviert.

Durchgefroren geht es in ein gegenüber liegendes kleines gemütliches Häuschen zu Tee und Gebäck. Es ist das Heimatdorf des Herrn, der uns die Kirchen zeigt und sein Haus. Während seine Eltern noch immer ganzjährig hier leben, wohnt er bereits in Onega und vermietet sein Häuschen nur noch an Touristen.

 Anschließend folgt noch eine Runde durch ein kleines Minimuseum, in dem alles erdenkliche liebevoll von den Dorfbewohnern zusammengetragen worden ist. Im gleichen Haus ein Zimmerchen mit einer Bibliothek. Es macht den Eindruck, dass man sich hier richtig Bücher ausleihen kann, ich frage mich nur wer hier vorbei kommt, es ist doch niemand da???? Im Sommer muss es hier komplett anders zugehen.

 Jetzt möchte ich aber auch ans Weiße Meer. Zu Fuß seilen wir uns mit einem Guide ab und stapfen durch Wind und Schnee Richtung Meer, 500 Meter sollen es sein. Begeistert stehen wir im eisigen Wind und schauen auf die Eisschollen entlang der steilen Küste. Eigentlich müsste es auch hier viel mehr Eisfläche geben aber auch hier zu warm. Nur meine steifgefrorenen Hände können beim Fotografieren nicht nachvollziehen, dass es zu warm sein soll.

Die anderen haben uns auf die Vermisstenliste gesetzt, suchen und finden uns. Jetzt wollen plötzlich alle zur Küste und so bugsieren uns die Fahrer in den UAZ querfeldein an den Rand der Steilküste ... faule Socken, dass hätten wir nun wirklich auch zu Fuß machen können ;-)).

Zurück in Onega ist der Spaß noch nicht vorbei. Diesmal geht es zu Fuß über den Fluss, zumindest für die die es wollen und weiter in ein Restaurant zum Mittag. Gut gestärkt bringt uns ein Bus wieder einige Dörfer weiter in ein Häuschen, wo es wieder Berichte über Land und Leute eine Masterclass und nicht zuletzt Tee und Blinis gibt. Uns kann man inzwischen kugeln. Artig hören wir zu, basteln unsere Püppchen und vertilgen Pirogen und Blinis mehr aus Höflichkeit als mit Hunger. Zwischendurch erkunden wir noch eine Runde das Dorf auf der Suche nach einem besonders alten Haus. Doch keiner, den wir fragen, weiß was davon.

Auch wenn wir für heute keine Piroggen oder Blinis mehr sehen können, zieht uns der süßliche Geruch einer Bäckerei magisch an. Kostya öffnet die Tür wir tasten uns zu Dritt vorsichtig vor. Wir sind nämlich in der Produktionsstätte gelandet und nicht in einem Geschäft. Kostya fragt und wir dürfen uns umsehen und bekommen so kurzerhand noch eine russische Bäckerei von innen zu sehen.

Feierabend. Das war ein schöner Tag, doch irgendwann sind wir froh wieder in unserem mobilen Zuhause sitzen zu können.

Auf ins Landschulheim

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Das Programm im Nationalpark bei Morshchikhinskaya erinnert an früherer Besuche von Landschulheimen. Es gibt Vollverpflegung mit typisch russischen Mahlzeiten, Saft und Tee zum Essen. Zum Frühstück gibt es Porridge oder Hirsebrei, Brot mit Wurst und Käse und kleine Blinis mit Marmelade und Schmand ... lecker. Zu den warmen Mahlzeiten steht immer Salat, gerne mit Erbsen, klein geschnittenem Fleisch, roter Beete angemacht mit Mayonnaise, eine Suppe (Soljanka oder Krautsuppe) und Kartoffeln mit Fisch oder Fleisch auf dem Tisch. Natürlich nicht zu vergessen die kleinen Pfannkuchen zum Dessert, Café und Tee. Alles reichhaltig und garantiert nicht arm an Kohlenhydraten. Low carb, das war einmal.

Zwischendurch dann eine Führung durch den „Ameisenpark“, Besichtigung des kleinen Museums und des Ökohofs der sich dem Erhalt alter Nutztierrassen verschrieben hat. Am Nachmittag der Besuch einer Masterclass, so nennt man hier das Rahmenprogramm, wenn wir in Kleingruppen Armreifen aus Birkenrinde (Männer) oder Kopftücher mit Drucken versehen (Frauen). Wir machen alles mit und haben unseren Spaß. Alle geben sich hier so unglaublich viel Mühe und nicht zuletzt erfährt man am Rande immer wieder Interessantes über das Leben der Menschen hier vor Ort. Zu guter Letzt noch ein Folkloreabend mit alten Tänzen, die das soziale Dorfleben von vor 100 Jahren vorstellen sollen. Die Jungs, die uns Frauen zum Tanz auffordern müssen, zittern regelrecht vor Nervosität ;-)

 

In Savinskiy übernachten wir auf dem Parkplatz einer Art Stadthalle. Der Ort liegt rund sieben Kilometer von der Hauptstraße entfernt. Man erreicht ihn indem man zuvor durch alte Anlagen einer mittlerweile stillgelegten Zementfabrik fährt. Fast schon gespenstisch muten diese zerfallenen riesigen Gebäudekomplexe an. Bei der Besichtigung des lokalen Heimatmuseums erfahren wir am nächsten Morgen, dass die Fabrik vor ein paar Jahren geschlossen worden ist. Sie war Hauptarbeitgeber der rund 12.000 Einwohner zählenden Stadt, 4.000 sind bereits abgewandert. Tristesse und Perspektivlosigkeit müssen sich breit machen, doch die Dame, die uns durch Ihre Ausstellung führt ist optimistisch. Irgendwann erscheint noch eine junge Frau von der Lokalzeitung und macht von uns Besuchern aus Deutschland ein Foto .... sind wir ein Zweizeiler auf Seite fünf oder der Aufmacher ;-)?

Wo wir mit unseren Allradfahrzeugen stehen sind wir Publikumsmagnet. In der Nacht kreist ein junger Mann mit seinem Auto immer wieder um uns herum, lässt Reifen quietschen, dreht seine Musik auf, fährt weg nicht ohne ein paar Minuten wieder zu kommen. Seine Musik gefällt mir, wenngleich Schlaf jetzt auch nicht zu verachten wäre. Als er gegen zwei Uhr in der Nacht noch einmal vorbei kommt, stellt er seinen Wagen auf der Mitte des Parkplatzes ab und beschallt uns mit seiner Anlage. Irgendwann scheinen unsere russischen Begleiter die Faxen dicke zu haben und ich höre Diskussionen, dann endlich Ruhe ... aber die Musik war wirklich gut (eine Hiphop Band aus Weißrussland, wie ich später herausgefunden habe) J.

Weißmeer-Ostsee-Kanal

Seit einer Woche fahren wir so gut wie ausschließlich durch Wälder. Wie Bleistifte ragen die Birken und Fichten gen Himmel. Holzwirtschaft ist auch der Arbeitgeber des Nordens. Wie kann man hier leben, eine Frage, die unwillkürlich immer wieder in uns auftaucht. Der kurze, sicherlich wunderschöne karelische Sommer kann nicht der Grund für das Ertragen von einem dreiviertel Jahr teils harten Winters sein. Wobei der Winter 2019/2020 Geschichte schreibt, er ist so mild wie noch nie, sagen die Einheimischen. Wir müssen lange Umwege in Kauf nehmen, da die im Winter üblichen Verkehrswege über zugefrorene Flüsse und Seen nicht mehr frei gegeben sind, so sehr taut es hier. Viele Flüsse haben keine Brücken. Im Sommer geht es via Fähren und im Winter eben über das Eis, nicht so in diesem Jahr.

Ich verliere den Überblick. Wo waren wir gestern? Wie hieß das Dorf, der See, der Nationalpark nochmal? Unbekannte Namen in Buchstaben, die mir schwer fallen zu lesen. Auch wenn ich das kyrillische Alphabet gelernt habe, lese ich doch eher wie ein Erstklässler in Silben statt in ganzer Worterfassung. Eine Lektion Babbel steht täglich auf dem Programm. Hinzu kommt die Kehrseite einer geführten Tour: alles geht ruckzuck, kein Verweilen an einem Ort ohne Programm. Eine Fülle von Informationen und Eindrücken, die verdaut und verarbeitet werden will, bevor die nächste Schicht oben drauf kommt.

Neben fahren, fahren und nochmals fahren stehen Besichtigungen auf dem Programm. Alles nur Angebote, keiner muss, jeder kann. Wir lassen nur ungern etwas aus, denn, wenn wir erst einmal wieder alleine unterwegs sind, müssen wir uns alles selber aus Reiseführern erarbeiten. Kein Roadbook mehr, das da am Abend per WhatsApp zu uns kommt und uns mit Infos, Sehenswürdigkeiten, Stellplätzen, Zielen, Tankstellen für Diesel, Gas oder Wasser informiert. Keinen Übernachtungsplatz suchen zu müssen, das entspannt, auch beziehungstechnisch, wie ein jeder Wohnmobilist weiß ;-).

In Sandarmokh besichtigen wir eine Gedenkstätte für die rund 100.000 Menschen, die dem Bau des Weißmeer-Ostseekanals zum Opfer gefallen sind. Auch der Russe hat seine Vernichtungslager akribisch dokumentiert und so hat man Massengräber gefunden, in denen man in den 30er Jahren unliebsame Mitbürger erst  beim Bau des Kanals verheizt und anschließend in den Massengräbern verscharrt hat. Unvorstellbar wie es vor rund 90 Jahren gewesen sein muss, als eine Schaufel weit mehr wert war, als ein Menschenleben. Der Bau des 37 km langen Kanals (Gesamtlänge des Wasserweges zwischen dem Weißen Meer und St. Petersburg 227 km) erfolgte durch die bloßen Hände der Gefangenen aus den Gulag-Lagersystemen der Geheimpolizei. Wärmende Kleidung? Fehlanzeige und das bei rund minus dreißig Grad. Der Einsatz von Pferden für die Bauarbeiten wurde unterlassen, da man mit den Tieren mehr Mitleid hatte als mit den Menschen.

Wir stehen hier im kalten Wind bei leichten Minusgraden, gut eingepackt in unserer modernen Thermobekleidung und lauschen den Ausführungen unserer Reiseführerin. Plastikblumen, Fotos und Fähnchen sind Zeugnisse aktiver Erinnerungskultur und machen betroffen. Die Opfer bekommen Gesichter. Väter, Mütter, Schwestern, Brüder, Söhne, Töchter.... Kostya empfiehlt uns ein Buch der Schriftstellerin und Gulag-Überlebenden Jewgenija Ginsburg, doch ich vermute, bei allem , was er erzählt, es ist harte Kost... Ich weiß nicht, ob ich es schaffen würde, das Buch zu lesen???  Durchgefroren balancieren wir über das Eis zu unseren Häusern auf Rädern und machen uns nachdenklich auf unseren weiteren Weg.

Karelien

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Von Kostomuksha geht es in einer zähen Etappe ca. 240 Kilometer Richtung Osten. Der Verkehr ist überschaubar, jedoch steht das Wasser in gigantischen Pfützen auf der Straße und wird vom Gegenverkehr in einer riesigen Welle auf die Frontscheibe gespritzt, so das wir kurzfristig im Dunkeln stehen. Die letzten fünf Kilometer des Tages fahren wir dann auf schmalem, vereisten Waldweg bis zu einer einsamen Ferienhaussiedlung. Herrliche Ruhe macht sich breit, so gefällt es uns. Es gibt kein Abendprogramm, sondern Entspannung ist angesagt. Herbert und ich machen noch eine kleine Abendrunde, vergessen jedoch eine Taschenlampe und so traue ich mich nicht allzu fern von unseren Fahrzeugen.

Tags drauf besteht die Etappe aus nur gut 100 Kilometern, die es jedoch in sich haben. Geschlagene fünf Stunden muss Herbert sich auf die vereiste Piste konzentrieren. Eis oder tiefer Sulz, der lenken fast unmöglich macht, erfordern volle Konzentration. Vandai heißt unser Ziel. Es handelt sich um ein kleines karelisches Dorf direkt an einem riesigen See. Wir stehen auf einer Halbinsel in einem Naturschutzpark. Das Büro der Parkranger dient uns als gemeinsamer Aufenthaltsraum.

Auch der See beginnt zu schmelzen, dennoch können wir unproblematisch darauf umherspazieren und machen am nächsten Tag einen ausgiebigen Spaziergang am Ufer entlang aber auch quer den See hin zu einer Insel. Ein freier Tag steht an und ist nach den letzten Fahretappen auch irgendwie angesagt.

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Vormittags bekommen wir eine kleine Einführung ins Eisfischen. Mit einem Bohrer bohren wir uns ein ca. 10/15 cm breites Loch in das ca. 60 cm dicke Eis. Der Köder kommt an den Haken und nun wird die Angelschnur bis zum Grund ins Wasser gelassen, für ca. 10 cm wieder angehoben und mit ganz leichter Bewegung der Wurm kurz oberhalb des Grundes zum Zappeln gebracht. Geduldig stehen wir an unseren Löchern bis wir kalte Füße bekommen. Die Einheimischen fahren mit Ihren Motorschlitten weit auf den See hinaus und stehen nicht wie wir quatschend in einer Horde auf dem Eis. Für unser Abendessen haben zum Glück andere gesorgt, es gibt Fischsuppe vom Lagerfeuer und gegrillten Fisch und Brot. Rustikal, einfach doch es schmeckt. Dazu gibt es Tee und Wodka und russische Liköre. Wir probieren uns durch. Kostya und unser russischer Guide Peter erzählen in großer Runde regelmäßig über Russland, seine Bräuche, Menschen und die Politik. Solche Abende sind ein Highlight dieser geführten Touren: entspannt, unterhaltsam, informativ und nicht zuletzt lernt man ein wenig seine Mitreisenden kennen.

 

Einreise nach Russland

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17.Februar 2020

Heute reisen wir nach Russland ein. Zwei Tage sind wir, begleitet von viel Regen, der gelegentlich auch mal in Schnee überging, Richtung Norden gefahren. Am Abend gab es noch ein BBQ und heute morgen gegen 8:30 Uhr gemeinsamer Aufbruch zur rund 100 km entfernten russischen Grenze. Wir verlieren hinten rechts Luft aus dem Reifen. Bevor wir starten pumpt Herbert nochmal auf.

Tief Sabine hat sich zu einem „Sabinchen“ entwickelt und treibt viel zu warme Luft in den Norden. Eigentlich liegt hier reichlich Schnee, doch es taut, regnet und stürmt. Gegen Morgen dann überall erst einmal eine fette Eisschicht auf allen Straßen. Ich meine so richtig und nicht das, was wir von Zuhause aus kennen. Doch die Straßen sind hier schnurgerade und so wenig befahren, dass man auch auf Eis mit Tempo 60 fahren kann. Die Finnen fahren alle mit Spikes, das wäre jetzt ein Segen. Uns bleibt nur vorausschauendes vorsichtiges Fahren für die nächsten zwei Stunden.

Gegen 11 Uhr haben wir mit dem Grenzprozedere begonnen. Ich bin nervös. Ich bin den ganzen Morgen schon nervös. Was werden sie uns von den Lebensmitteln lassen, wird es Probleme wegen des vielen Hundefutters geben oder wegen unserer umfangreichen Bordapotheke? Werden sie die Drohne finden, auch wenn es nur eine Minidrohne ist, wir wären wenig begeistert, sie abgeben zu müssen. Was genau erlaubt ist und was nicht, ist uns nicht völlig klar. Was vor ein paar Wochen noch locker gehandhabt wurde, kann heute schon ganz anders zu verstehen sein. In solchen Momenten sind wir Touristen Spielball der politischen Stimmungen und ganz oft handelt es sich um Retourkutschen für deutsche Auflagen. Uns hilft hier nur Ruhe und Geduld.

Insgesamt sind wir acht Fahrzeuge und sie fertigen uns in zwei Gruppen a vier Wohnmobile ab. Neben Pässen, Visa und Papieren werden die Fahrzeuge gründlich angesehen. Wir können es nur bei der Abfertigung der PKW in der Reihe neben uns erkennen. Mit kleinen Spiegeln werden die Hohlräume überprüft, ein Schäferhund inspiziert die Autos von außen und ein kleiner Terrier geht sowohl in die Autos als auch an die Taschen.

Wir fahren vor, sollen dicht an dicht auffahren und mit unseren Dokumenten ins Gebäude kommen. Erst werden die Fahrer geprüft, da sie mit den Kfz-Papieren anschließend zum Zoll müssen. Die Zolldeklaration haben wir bereits im Vorfeld ausgefüllt. Unsere Deklaration stellt sich als verkehrt heraus, Paula ist auf Herberts Formular aufgeführt, in ihrem Impfpass stehe ich jedoch als Halterin drin. Geht gar nicht. Der Vordruck muss neu ausgefüllt werden, doppelt natürlich. Ich bin einfach noch nicht fit, stehe nervös neben mir, bin langsam, irgendwie zeitverzögert. Einer der Guides füllt meine Formulare aus, ich bin ihm zu langsam.

Während wir so im Zollbereich warten schauen wir zu, wie der kleine Hund bei ein paar Russen fündig wird. Er ist auf Medikamente abgerichtet und kratzt an einem Rucksack und einem Koffer wie ein kleiner Irrwisch und siehe da, es kommen Pillendöschen zum Vorschein. Meiner Nervosität ist das weniger zuträglich, da wir eine Box mit Medikamenten zum Zeigen fertig gemacht hatten und ein, die eben besser weiter unten im Verborgenen bleibt. Nichts für meine Nerven.

Die Überprüfung von Paulas Papieren zieht sich, wobei der Hund selber keines Blickes gewürdigt wird. Irgendwann ist sie schon mal fertig: Dogpassport ist ok. Unsere Papiere sind ebenfalls in Ordnung. Dann geht es zum Fahrzeug. Zwei sehr freundliche Frauen inspizieren das Womo. Wir müssen draußen wie drinnen jede Tür öffnen. Hier und da wird mit der Taschenlampe näher untersucht, Kleidung und Matratzen angehoben.  Es ist zu spüren, dass es den Damen fast unangenehm ist, doch es ist ihre Pflicht, was sollen sie anderes tun. Mit Erleichterung habe ich zwischenzeitlich wahrgenommen, dass der kleine Terrier müde vom Erfolg ist und mit seinem Frauchen Feierabend oder doch zumindest Mittagspause macht.

Die Uhr haben wir wieder um eine Stunde vorgestellt und gegen 16:30 Uhr ist es geschafft, inzwischen sind wir der Heimat zwei Stunden voraus. Drei der vier Autos dürfen den Zollbereich verlassen, einer muss noch bleiben. Er hat Krügerrand als Währungsmittel deklariert, was nicht gerade täglich hier vorkommt und so müssen die freundlichen Damen vom Zoll nach einer Lösung suchen, damit umzugehen.

Die restliche Etappe besteht nur noch aus rund 30 Kilometern auf russischer Seite bis in die nächst größere Stadt Kostomuksha. Herbert pumpt noch einmal Luft auf den hinteren Reifen, doch der Druck entweicht kontinuierlich, wir brauchen eine Werkstatt. In Kostomuksha suchen wir uns einen Supermarkt, bezahlen mit Karte und erkundigen uns nach einer Bank. Weiter geht es zur Werkstatt, ein entsprechendes Schild war mir gleich am Ortseingang aufgefallen. Sie ist noch geöffnet und mittels Zeichensprache und google-Übersetzer kommen wir schnell zum Punkt. Die Begeisterung für den neuen Auftrag ebbt ab, als klar ist, dass wir mit unserem Fahrzeug nicht in die beheizte Halle fahren können und sich die Arbeit im Nasskalten abspielen wird. Dem Wunsch nach einer kleinen Schlossbesichtigung kommen wir gerne nach und schon geht es ran ans Werk. Reifen runter und ab in die Werkstatt. Ich bespaße derweil Paula auf dem Hof.

Ok, doch nicht alles so easy-peasy wie gedacht, nicht der Reifen ist defekt, sondern die Felge ist gerissen. Eine Reparatur heute nicht mehr möglich, da die Felge morgen erst geschweißt werden muss. Das heißt leider Reserverad abbauen und montieren und weder der Techniker noch Herbert ist begeistert, weil das eine ziemlich blöde Angelegenheit ist erst Recht auf vereistem, nassen Untergrund. Doch ich bin irgendwie immer wieder überrascht, was alles so ohne Sprache geht. Gemeinsam schrauben der Techniker und Herbert, ein jeder textet den anderen in seiner Sprache zu, irgendwie funktioniert es und wir rollen wieder vom Hof, nicht ohne uns für den nächsten Tag gegen 14 Uhr zu verabreden.

Die Felge ist am nächsten Tag geschweißt und der Reifen aufgezogen. In Deutschland hätte und das niemand repariert, wir hätten eine neue kaufen müssen. Nun noch wieder unters Fahrzeug montieren und wir sind für rund 43 € wieder vollständig und können die nächste Etappe in Angriff nehmen.

 

 

 

 

 

 

Helsinki: Unsere Highlights

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Unsere Higlights von Helsinki: Mittags haben wir die Rock-Church besichtigt und am Abend ging es in die wohl ungewöhnlichste Sauna Helsinkis. Danach war ich für drei Tage komplett aus dem Verkehr gezogen und wir haben auf weitere Stadterkundungen leider verzichten müssen. Übermut tut halt selten gut ;-)

Die Rock-Church hat uns sehr beeindruckt. Erbaut in den 60er Jahren in einen Felsen hinein, mit einem Dach aus einer Kupferspirale (22km lang) und Glas. Das Ungewöhnliche war die warme, entspannte Atmosphäre. Gleich beim Betreten ist mir das angenehm warme Klima positiv aufgefallen. Das Glasdach wird beheizt, damit ggf. der Schnee sofort schmilzt. Tauwasser oder Regen laufen durch das Gestein auch im Inneren der Kirche an den Felswänden entlang und werden in einer ringsherum verbauten Rinne aufgefangen und abgeleitet. Es gibt keine Kirchglocke, doch eine eigens komponierte Musik wird im Hintergrund leise abgespielt. Zu gerne hätte ich ein Konzert hier drinnen gehört, das muss wunderschön sein.

Das zweite Highlight des Tages war der spontane Saunabesuch. Angeblich soll es in Finnland fast so viele Saunen wie Einwohner geben. Es gibt zahlreiche öffentliche Saunen doch die wohl ungewöhnlichste Sauna steht hier mitten in der Stadt an der Spitze einer kleinen Landzunge. Die Landzunge ist ca. ein Kilometer lang und im Grunde eine einzige Großbaustelle. Hier entstehen massenhaft Wohnungen. Die Hälfte des Gebiets ist bereits zugebaut, der hintere Bereich wartet noch darauf bebaut zu werden. Hier haben vor ein paar Jahren Finnen in Eigenregie drei Holzsaunen aufgebaut. Hier gibt es keinen Strom und kein fließend Wasser, sondern nur drei Holzhütten, einen Schuppen für Brennholz, eine Überdachung mit ein paar Sitzbänken und eine Treppe, die ins Meer führt. Das Gelände ist für jedermann kostenlos und rundum die Uhr frei zugänglich. Es gibt keine Aufsicht und kein Personal. Für das Anheizen der Öfen ist derjenige zuständig, der in die Sauna gehen will. Holz liegt bereit, ebenso Süßwasser in Kanistern für den Aufguss.

Wir parken direkt davor (hier hinten ist das Parken wieder kostenlos) allerdings stellen wir uns gut in den Wind, denn es stürmt hier ganz schön. Es ist bereits dunkel und wir steuern auf die Leute zu, die schon fleißig am schwitzen sind. Noch sind wir eingemummelt und lassen uns von einem hilfsbereiten Finnen erklären, wie es hier so abläuft. Ich frage mich, ob uns auf den letzten Metern der Mut verlässt. Aber nein, raus aus den Klamotten, Handtuch um, Badelatschen an und los geht es. Etwas Überwindung kostet es schon. Inzwischen sind die Saunen gut besucht. Wegen des mäßigen Wetters seien nur zwei eingeheizt. Ob wir es eher heiß oder weniger heiß wollten. Nun wir entscheiden uns für die mäßiger heiße Variante. Es ist dunkel. Vorsichtig machen wir eine der Türen auf und huschen hinein. Meine Brille beschlägt erst einmal und ich bin blind. Es ist rappelvoll und wir bleiben einen Moment stehen. Licht gibt es keins, nur das Feuer vom Ofen erleuchtet den Raum spärlich. Doch Rückzug kommt nicht in Frage, alle rutschen noch ein wenig zusammen und so entsteht für jeden von uns eine Lücke zum Sitzen. Berührungsängste wären hier jetzt gerade mal ziemlich fehl am Platz. Augen zu und durch. Alle reden gedämpft miteinander und da man schnell merkt, dass wir nicht von hier sind, werden wir umgehend dezent interviewt. Woher des Weges, wie lange hier und wie macht man in Deutschland Sauna? Auch hier wieder: Welcome to Helsinki!

Nach zwei Durchgängen war dann doch Schluss für uns. Die Abkühlung im Meer eine Herausforderung aber nach dem zweiten Mal wurde der Körper noch zusätzlich von windgepeitschten Regentropfen massiert und es gibt keine Möglichkeit, sich dem zu entziehen. Wow, das hat Spaß gemacht.

Ok, das Erwachen hatte ich dann am nächsten Morgen. Irgendwie fühlte sich alles nicht richtig gut an. Ganz nach Plan sind wir noch in einen Waschsalon gefahren, um eine der vermutlich vorerst letzten Möglichkeiten zum Waschen zu nutzen. Aber ab mittags habe ich mich mit Fieber für die nächsten zwei Tage danieder gelegt. Am dritten Tag war ich dann doch recht verunsichert und habe das finnische Gesundheitswesen getestet. Schließlich sollte am nächsten Tag die geführte Reise in den Norden starten.

Inzwischen geht es mir wieder sehr viel besser. Das Gesundheitswesen hier hat mich beeindruckt. Wenn man einen Arzt sucht findet man ihn in erster Linie in Einkaufszentren (zumindest hier im Stadtbereich Helsinkis). Zentral gelegen, Parkplätze und mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut zu erreichen. Öffnungszeiten variieren bei den Zentren zwischen 8 und 21 Uhr, manche haben auch Samstags geöffnet. Ich bin Freitagmittag gegen 12.30 Uhr vorstellig geworden und bekam als entschuldigende Antwort zu hören, es sei leider nur ein Arzt da und  man könne mir erst für 13:45 Uhr einen Termin geben. Ok, ich war ein erstes Mal verblüfft. Ich bin zurück ins Womo und Herbert hat uns eine Pizza zum Mittag aus dem Einkaufszentrum geholt.

Pünktlich zurück, sollte ich vor Raum 307 Platz nehmen und keine drei Minuten später kam die Ärztin raus und rief mich zu sich. Wow-effekt der Zweite. Es folgt eine Untersuchung, Abhorchen ein Gespräch und die Frage ob ich eine Versicherung hätte, da  sie gerne noch Laborwerte hätte. Oh je. Versicherung ist ja nicht das Problem aber ich kann nicht nächste Woche wieder kommen um Blutwerte abzugeben.... es folgte meine dritte Überraschung: die Ergebnisse würde in 15 Minuten vorliegen! Super, damit habe ich nicht gerechnet, also gleich ran ans Blut. Ich bekomme einen Laufzettel und sie begleitet mich drei Türen weiter in den Laborbereich, zieht für mich eine Nummer, ich bin die nächste, und meint ich solle anschließend wieder vor ihrer Tür Platz nehmen.

Nach knapp einer Stunde war ich wieder zurück im Wohnmobil. Zwar um 200 € leichter aber auch erleichtert um die Sorge, ob ich mir etwas ernsteres zugezogen haben könnte. Keine Lugenentzündung, kein Influenza A oder B, von Corona redet hier zum Glück niemand (oder besser wir verstehen es nicht), einfach nur eine fetter grippaler Infekt, der von alleine weggeht. Und das medizinische Zentrum tiptop, super freundlich und megageduldig mit mir als Ausländerin.

 

 

Helsinki, erste Eindrücke

Diese eher ungemütliche Jahreszeit hat den Vorteil, dass so gut wie keine Camper unterwegs sind und nur wenige Touristen die Stadt bevölkern. Je nach Lust und Laune haben wir rund acht Tage Zeit, die Stadt zu erkunden. Während Tief „Sabine“ die Heimat fest im Griff hat, ist es hier auch nicht gerade windstill. Es stürmt und regnet ohne Unterlass.

Das Parken ist hier eigentlich gar nicht schlecht geregelt und es scheinen sich so ziemlich alle daran zu halten: Im Zentrum sind fast alle Parkplätze für ca. fünf bis sechs Euro für maximal zwei Stunden zu bekommen. Je weiter man sich vom Zentrum entfernt, desto länger darf man stehen und desto preiswerter wird es. Ist man weit genug weg (so ca. 20 Minuten Fußweg) dann kann man schon mal zwei oder vier Stunden mit Parkscheibe stehen und noch weiter entfernt ist es dann sogar rund  um die Uhr kostenlos (ca. 30 Minuten Fußweg ins Zentrum).

Je nach Tagesprogramm suchen wir uns verschiedene Plätzchen mit unserem Gefährt. Beim ärgsten Wind verziehen wir uns zum Schlafen in den Hafen hinter eine große Halle und stehen dort zwar nicht gerade ruhig (Baustelle), dafür aber windgeschützt und kostenlos.

Die Öffnungszeiten der Geschäfte sind sehr unterschiedlich. Während die Kleinen Samstagnachmittag und Sonntag geschlossen haben, kann man in den größeren Geschäften auch am Sonntag noch bummeln gehen. Dazwischen gibt es unzählige gemütliche Cafés und nette Restaurants. Mir fällt auf, dass es quasi kaum Lebensmittelgeschäfte gibt. Also, ich meine Schlachter oder Käseläden, Bäckereien oder Gemüseläden. Es gibt sehr viele 24/7 Supermärkte, dort gibt es fast alles abgepackt und auffallend viele Fertiggerichte, nicht ganz unsere Welt.

Die Menschen hier in Helsinki sind sehr gastfreundlich. Kaum, dass man ein etwas suchendes Gesicht macht oder einen hilflosen Eindruck vermittelt, schon wird man angesprochen, gefragt, ob man Hilfe benötige und woher man käme ... auch hier ein Welcome to Helsinki!

Faszinierend wie verästelt diese Stadt auf felsigem Grund gebaut ist. Lauter kleine Inseln, die miteinander verbunden sind und immer wieder sind Felsen zu sehen, die bewusst machen, wie es hier mal ursprünglich ausgesehen haben muss. Wo kein Wasser, da ist Felsen und wo kein Felsen, da ist Beton. Es herrscht hier absolut Bauboom. Ganze neue Stadtviertel mit modernen Wohnblöcken entstehen.

Gefühlt hat übrigens jeder zweite Finne einen Hund und egal ob es regnet stürmt oder schneit ob mit oder ohne Hund, er geht mindestens einmal täglich sportlich spazieren.

Das bekommen die Finnen hier schon im Kindergarten so vermittelt. Ich bin an einem Spielplatz mit Kindern einer Kindergartengruppe vorbeigekommen. Mich hatte fasziniert wie alle Kids in Matschhosen und Signalwesten warm eingepackt im Dreck wühlten und herum tollten, obgleich es ziemlich hässliches Wetter war. Ich habe eine der Betreuerinnen angesprochen und sie erzählte mir, dass die Kinder täglich vormittags und nachmittags für 1,5 h nach draußen gehen, egal, was für ein Wetter. Am Ende des Gesprächs stellten wir fest, dass die junge Frau aus Wien kommt und ein Praktikum hier in Helsinki macht. Nun, die Kommunikation hätten wir auf Deutsch leichter haben können.

 

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Erste Schritte in Finnland

Mich beeindruckt, wie genau so eine Fähre ist. Pünktlich um 9 Uhr finnische Ortszeit legt der Kapitän sein Metallmonster zentimetergenau an. Die Überfahrt verlief reibungslos, wenngleich mir gelegentlich etwas schwummerig war, da der Koloss zeitweise ganz schön am Schwanken war. Dagegen hilft nur eins: essen, essen und nochmals essen. Auf die Buchung des Finnlines Gourmetpaket hatten wir verzichtet und uns mit ausreichend Proviant für einen Seetag eingedeckt. Insgesamt dauert die Überfahrt rund dreißig Stunden, wobei man die meiste Zeit verschläft.

Anders als auf der Überfahrt von Patras nach Venedig im vergangenen Jahr, nehmen es die Finnen mit der Einhaltung der Spielregeln für die Hunde ziemlich genau und so dürfen wir uns mit Paula ausschließlich auf einem Deck und in unserer Kajüte bewegen. Der Auslauf für die Vierbeiner ist ziemlich mau und die Möglichkeiten, sich irgendwo mit Hund hinzusetzen sind gleich null. Ergo verbringen wir die Zeit in unserer Bettenkammer oder gut eingemummelt auf dem Hundedeck.

Helsinki empfängt uns mit Sonnenschein. Der Fähranleger gleicht ebenso wie der in Travemünde eher der Zufahrt zu einer Autobahn und ruckzuck sind die wenigen Fahrzeuge, die sich auf dem Schiff befinden runter und verteilen sich in alle Winde. Den Apps sei Dank, steuern wir einen Wanderparkplatz in rund zehn Kilometer Entfernung an. Jetzt heißt es erst einmal frischen Tee kochen und frühstücken. Im Anschluss geht es raus auf eine kleine Wanderung.

Der Zufall hat uns gleich am ersten Tag in einen kleinen Naturpark geführt. Die Wanderwege sind so hervorragend ausgeschildert und in Schuss, dass man sich nicht verlaufen kann. Immer wieder stoßen wir auf „kleine“ Picknick-Anlagen. Picknick scheint hier schwer beliebt zu sein und so besteht eine Picknick- Einrichtung nicht nur aus Sitzbänken und Tischen, sondern es gibt darüber hinaus noch eine Feuerstelle mit Grillrost. Für das nötige Feuerholz ist ebenfalls gesorgt, eine kleine Überdachung schützt das Holz vor Feuchtigkeit, davor ein Sägebock und ein Holzklotz zum Hacken. Da kaum ein Wanderer eine Säge oder eine Axt im Gepäck hat, liegt natürlich alles bereit. Dazu noch ein paar Blecheimer und altes Zeitungspapier zum Anfeuern. Ok, das Zündholz und evtl. Grillgut muss nun doch aus dem eigenen Rucksack kommen. Wer länger von daheim fort ist, wandert und rastet, der hat vielleicht auch noch andere Bedürfnisse aber auch das ist hier kein Problem, denn zu einer Picknickanlage gehört selbstverständlich auch ein kleines Häuschen mit einer Trockentoilette.

Der erste Picknickplatz ist knapp einen Kilometer vom Parkplatz entfernt und nicht nur behindertengerecht erreichbar, sondern auch noch komplett  rollstuhlgerecht eingerichtet. Sowohl das WC als auch das Häuschen fürs Feuerholz sind mit einer Rampe versehen. UND: Alles heile und sauber, keine Kippen oder Glasscherben. Überhaupt, Müll haben wir auf unserer ganzen Wanderung keinen gesehen. Ausnahmen: ein Kindersöckchen und einzelne Handschuhe.  

Überhaupt einzelne Handschuhe scheinen sehr gerne verloren zu gehen. Immer wieder begegnen sie mir und ich frage mich, wo wohl das passende Pendant dazu schlummert und auf eine Zusammenführung wartet. Welche Geschichten könnten sie erzählen? Was sind es für Menschen deren Hände sie einst gewärmt haben? ....

 

 

Moringen - Travemünde

Es ist Mittwochabend 21:30 Uhr. Um drei Uhr heute Nacht startet unsere Fähre Richtung Helsinki. Gegen Mitternacht dürfen wir aufs Schiff, doch bis dahin heißt es warten. Genug Zeit, um mir ein paar Gedanken über unsere ersten Reisetage zu machen. Unspektakulär. Im Grunde so, wie erwartet, runter kommen und Zeit haben, die letzten Dinge besorgen, die wir noch vergessen haben zu kaufen und von denen wir uns einbilden, dass es sie nirgends sonst auf der Welt zu kaufen gibt. Blödsinnig aber so sind wir nun mal.

Sonntag sind wir gegen drei Uhr Mittags los gekommen. Immer wieder sind wir wieder ins Haus, noch etwas greifen, von dem wir unbedingt glauben es in den nächsten Monaten zu brauchen oder einfach nur, weil wir uns nicht so recht von unserem festen Zuhause losreißen können. Komisches Gefühl zu wissen, gut ein halbes Jahr weg zu sein. Schon die letzten Tage ging mir durch den Kopf, was ich wohl am meisten von Zuhause vermissen werde? Ich bin zu dem Ergebnis gekommen, dass es wohl mein gemütliches Bett sein wird. Vielleicht aber auch die große Dusche mit dem schier endlosen Vorrat an heißem Wasser. Oder die Küche mit Platz und Backofen?

Schon auf der Raststätte am Harz gab es die erste Pause mit Café und Kuchen. Mama hat uns noch eine großen Schokokuchen gebacken und von Alex hatten wir noch Zitronenmuffins. Ich hätte Schluss machen können für den Tag, ich war müde und ko. Doch wir wollten Hamburg schaffen, damit wir die Autobahn drum herum nicht mit dem Berufsverkehr teilen müssen. Bei Ahrensburg war dann tatsächlich Feierabend. Regen über Regen und so machen wir noch eine Hunderunde über matschige Wege bevor wir uns dem Trommeln der Tropfen in unserem Bettchen hingeben.

Lübeck im Regen ist nun auch nicht gerade ein Knaller. Wir streifen durch die Stadt wobei mir auch hier der viele Leerstand und doch ziemlich viele Obdachlose auffallen. Ziellos streifen wir durch die Straßen. Zum Übernachten fahren wir raus aus der Stadt und werden erst in Scharbeutz fündig. Wir stehen auf einem ganz normalen Womostellplatz, unweit vom Strand und bewegen uns für die nächsten zwei Nächte nicht fort. Wir entspannen bei Origami, spielen ein neues Spiel „The game“, das uns die Kinder zum Abschied geschenkt haben und lassen uns am Strand vom Wind Regentropfen ins Gesicht wehen.

Heute dann endlich wieder Sonne satt. Das lockt zum Joggen und so mache ich gleich am Morgen eine ausgiebige Runde am Strand entlang. Paula freut sich über so viel Freiheit, tollt herum und wälzt sich im Sand. Am späten Vormittag geht es dann nach Travemünde. Noch einmal bummeln wir durch die Gassen und am Strand entlang. Ich bin überrascht wie voll es ist und möchte mir gar nicht erst vorstellen, wie es hier in der Saison abgehen muss. Die digitalen Hinweisschilder auf frei Parkplätze (mal 1050, mal 300, mal rund 500) lassen schlimmes erahnen.