Nächstes Ziel: die Stadt Onega. Kilometerlang zieht sich die Straße entlang am gleichnamigen Fluss Onega, der hier ins Weiße Meer mündet. Eisschollen stapeln sich. Eigentlich war angedacht an irgendeiner Stelle über das Eis des Flusses zu fahren, doch der milde Winter macht uns da einen Strich durch die Rechnung und wir mussten einen großen Umweg fahren. Auf halbem Wege nach Onega treffen wir uns nochmal alle in einem kleinen Dörfchen namens Piyala. Die Holzkirche in diesem Dorf wurde Mitte des 17. Jahrhunderts erbaut und ist mit ihrem 45 Meter hohem Glockenturm die höchste Holzkirche im Norden Russlands. Sehr viele Kirchen sind zu Sowjetzeiten zerstört worden oder radikal dem Verfall preisgegeben worden nachdem man sie ihrer Ikonen und sonstigen Schätze beraubt hat. Manchmal sind nur noch Ruinen zu sehen, andere werden wiederum mit sehr viel persönlichem Engagement der Dorfbewohner und von Studentengruppen vorwiegend in den Sommermonaten restauriert. Natürlich kommt auch hier jemand, schließt uns die Gebäude auf, fegt noch schnell die Stufen frei und erzählt uns über die Kirche. Von oben hat man eine herrliche Aussicht über den Fluss Onega und das angrenzende Gebiet. Da aber der Himmel, wie so oft, grau ist, kann man nicht sehr weit sehen und alles bleibt Ton in Ton oder besser gesagt grau in grau.
Am Abend dann wird es kurzzeitig nochmal kribbelig. Unser Stellplatz liegt auf einem Berg. Es herrscht Unsicherheit, ob wir unseren Stellplatz erreichen können. Unsere Guides fahren vor und geben die Strecke frei. Die ganzen Tage schon fahren wir über pures Eis auf den Straßen und wenn nicht eines der vorderen Fahrzeuge an einer Weggabelung angehalten hätte, dann wären sicherlich auch alle oben angekommen. So aber mussten wir unglücklicher Weise an der steilsten Stelle anhalten. Die schweren Fahrzeuge rutschen auch mit angezogener Handbremse, so dass wir mit Keilen zusätzlich sichern mussten. Das Eis hat nicht nur für die Fahrzeuge seine Tücken, sondern auch für uns Menschen. Ein Reiseteilnehmer rutscht unglücklich aus, stürzt und schlägt mit dem Kopf auf. Für einen Moment ist er bewusstlos, kommt aber wieder zu sich und hat später tatsächlich einen kleinen Filmriss. Inzwischen wird es langsam dunkel. Der Notarzt wird gerufen und zeitgleich versucht der erste mit seinem Fahrzeug anzufahren. Herbert hat Mühe beim Iveco die Sperren reinzubekommen, denn ohne rutscht er nur quer. Doch einer nach dem anderen schafft es nun die restlichen zweihundert Meter den Berg hinauf. Phu, das sind spannende Momente aber haben wir nicht genau dafür diese Reise gebucht und Geld bezahlt ;-) ??
Der Notarzt hat unseren Reisekollegen mitgenommen. Auch wenn es ihm im Augenblick gut geht, soll er zur Sicherheit im Krankenhaus untersucht werden. Gegen neun sitzen wir beim gemeinsamen Abendessen in einem nahegelegenen Hotel und feiern einen runden Geburtstag als der „Verletzte“ wieder zurück kommt und mit Jubel begrüßt wird. Er hat noch Kopfschmerzen und die Ärzte empfehlen noch eine Untersuchung in der Röhre, wenn wir in Archangelsk sind aber ansonsten ist nochmal alles gut gegangenen.
In Onega gibt es wieder einen Tag frei, soll heißen, wir müssen nicht fahren oder besser gesagt, nicht selber fahren. Gegen 10 Uhr werden wir mit einem UAZ und einem VW-Bus abgeholt. Es geht runter in die Stadt ans Ufer des Flusses Onega. Auch hier das gleiche Problem, es ist zu warm für die Eisstraße, die normaler weise das Dorf auf der gegenüber liegenden Seite von November bis April mit der Stadt Onega verbinden würde. Derzeit geht es nur auf einem markierten Fußweg oder per Motorschlitten über das Eis. Wir fahren in kleinen Gruppen mit dem Motorschlitten rüber und werden dort wieder von zwei UAZ erwartet.
Weiter geht’s über die buckeligen Pisten in ein kleines Dörfchen namens Vorzogory. Das Besondere an diesem Ort sind dessen Lage und zwei Holzkirchen, sowie ein Glockenturm aus Holz. Die rund 20/30 Häuser, jetzt im Winter zu 90% unbewohnt, liegen leicht erhöht direkt am Weißen Meer und einem großen Sumpfgebiet im Rücken. Vom Glockenturm hat man einen genialen Blick ins Hinterland aber auch auf des Weiße Meer. Der Wind pfeift uns um die Ohren während wir dem Herrn, der uns die Gebäude zeigt und uns über das Dorf erzählt, zuhören. Auch hier werden die Kirchen, übrigens eine Sommerkirche und eine beheizbare Winterkirche, in Eigenleistung der Bewohner in den Sommermonaten renoviert.
Durchgefroren geht es in ein gegenüber liegendes kleines gemütliches Häuschen zu Tee und Gebäck. Es ist das Heimatdorf des Herrn, der uns die Kirchen zeigt und sein Haus. Während seine Eltern noch immer ganzjährig hier leben, wohnt er bereits in Onega und vermietet sein Häuschen nur noch an Touristen.
Anschließend folgt noch eine Runde durch ein kleines Minimuseum, in dem alles erdenkliche liebevoll von den Dorfbewohnern zusammengetragen worden ist. Im gleichen Haus ein Zimmerchen mit einer Bibliothek. Es macht den Eindruck, dass man sich hier richtig Bücher ausleihen kann, ich frage mich nur wer hier vorbei kommt, es ist doch niemand da???? Im Sommer muss es hier komplett anders zugehen.
Jetzt möchte ich aber auch ans Weiße Meer. Zu Fuß seilen wir uns mit einem Guide ab und stapfen durch Wind und Schnee Richtung Meer, 500 Meter sollen es sein. Begeistert stehen wir im eisigen Wind und schauen auf die Eisschollen entlang der steilen Küste. Eigentlich müsste es auch hier viel mehr Eisfläche geben aber auch hier zu warm. Nur meine steifgefrorenen Hände können beim Fotografieren nicht nachvollziehen, dass es zu warm sein soll.
Die anderen haben uns auf die Vermisstenliste gesetzt, suchen und finden uns. Jetzt wollen plötzlich alle zur Küste und so bugsieren uns die Fahrer in den UAZ querfeldein an den Rand der Steilküste ... faule Socken, dass hätten wir nun wirklich auch zu Fuß machen können ;-)).
Zurück in Onega ist der Spaß noch nicht vorbei. Diesmal geht es zu Fuß über den Fluss, zumindest für die die es wollen und weiter in ein Restaurant zum Mittag. Gut gestärkt bringt uns ein Bus wieder einige Dörfer weiter in ein Häuschen, wo es wieder Berichte über Land und Leute eine Masterclass und nicht zuletzt Tee und Blinis gibt. Uns kann man inzwischen kugeln. Artig hören wir zu, basteln unsere Püppchen und vertilgen Pirogen und Blinis mehr aus Höflichkeit als mit Hunger. Zwischendurch erkunden wir noch eine Runde das Dorf auf der Suche nach einem besonders alten Haus. Doch keiner, den wir fragen, weiß was davon.
Auch wenn wir für heute keine Piroggen oder Blinis mehr sehen können, zieht uns der süßliche Geruch einer Bäckerei magisch an. Kostya öffnet die Tür wir tasten uns zu Dritt vorsichtig vor. Wir sind nämlich in der Produktionsstätte gelandet und nicht in einem Geschäft. Kostya fragt und wir dürfen uns umsehen und bekommen so kurzerhand noch eine russische Bäckerei von innen zu sehen.
Feierabend. Das war ein schöner Tag, doch irgendwann sind wir froh wieder in unserem mobilen Zuhause sitzen zu können.