Die erste Nacht in Estland hatten wir kurz hinter der Grenze auf dem Hinterhof eines leerstehenden Hotelkomplexes an der Ostsee verbracht. Der Platz lag ruhig im Wald und nach 20/30 Metern war man am Strand. Hier konnten wir am Abend und am Morgen uns mit langen Spaziergängen erst einmal sammeln. Dieses permanente recherchieren und Nachrichten hören macht mich kirre und unruhig. Ich habe beschlossen nur noch ein paar offizielle Seiten vom Auswärtigen Amt zu besuchen, um zu beobachten, wie es sich mit den Grenzübergängen hier im Baltikum verhält und ansonsten das Internet „weg zu legen“.
Unser Wassertank ist ziemlich leer. Da ich das Bedürfnis nach etwas „Fahrruhe“ habe, wollen wir heute eine Möglichkeit zum Wasser tanken suchen und uns irgendwo an der Küste an einem sonnigen Plätzchen für zwei oder drei Tage niederlassen. Auf unserer Suche landen wir schließlich in Troila, einem kleinen, ruhigen, gepflegten Örtchen an der Ostsee. Wir steuern einen Parkplatz direkt am Strand an und sind leicht verunsichert, weil uns die Straße durch eine große Parkanlage führt. Doch wir fahren unbeirrt weiter und landen in der ersten Reihe an einem kleinen Minihafen.
Alles ist still und wirkt verlassen. Überhaupt überall herrscht so eine Art Sonntagsstimmung. Immer wieder kommen Spaziergänger vorbei. Menschen parken ihr Auto drehen eine Runde am Strand und ziehen wieder von dannen. Sozusagen nur mal kontrollieren, ob Meer und Strand noch da sind.
Gleich hinter uns liegt der Oru Park. Rund 75 Hektar Land hat hier um 1900 ein Industrieller aus Sankt Petersburg zu einer Parkanlage mit üppigem Herrenhaus gestalten lassen. Im Zweiten Weltkrieg sind sämtliche Gebäude zerstört worden, doch die Parkanlage hat man wieder rekultiviert. Botaniker dürften hier ihre Freude haben, da viele Schilder auf besondere Baumarten hinweisen. Wir nutzen den Park für ausgiebige Spaziergänge und Joggingrunden, denn der Strand besteht hier nicht aus Sand, sondern aus dicken Kieselsteinen auf denen es sich schlecht laufen lässt.
In den Jahren 2000 bis 2002 hat die Deutsche Kriegsgräberführsorge hier einen Soldatenfriedhof für die deutschen Gefallenen aus den Jahren 1939-45 angelegt. Der zweite Weltkrieg begegnet uns hier oben besonders häufig. Die Russen bezeichnen diesen Krieg als „Großen vaterländischen Krieg“. Es gibt zahlreiche Denkmäler und nicht zuletzt wird der 9.Mai als Tag des Sieges über den Faschismus groß gefeiert.
Es scheint die richtige Entscheidung gewesen zu sein, nach Estland auszureisen, denn nun schließt auch Russland bis zum 1.5.20 seine Pforten. Jetzt haben wir endgültig das Gefühl, dass unsere Reisepläne sich erledigt haben, da wir unser Zeitfenster nicht nach hinten ausdehnen können. Keiner weiß, wie sich alles entwickeln wird und so beschließen wir die Reise abzubrechen.