Wologda
Die Zeit der zauberhaften Winterlandschaften ist vorbei. Wir sind zurück in der grau-braunen, von gigantischen Pfützen dominierten Wirklichkeit. Es bedarf nun größter Anstrengungen und einer gehörigen Portion Phantasie hier irgendwas noch schön zu finden. Schneerest, Matsch, Müll und zerfallene Holzhäuser geben keine anheimelnde Umgebung ab. Dabei kann diese große Stadt mit seinen rund 320.000 Einwohnern sicherlich sehr grün und reizvoll sein .... im Sommer ;-).
Es wird auch nicht schöner nur weil wir mit göttlicher Überwachung an der Mauer eines Klosters am Stadtrand von Wologda schlafen. Unsere Wohnmobile stehen am Ufer des gleichnamigen Flusses neben einer Eisenbahnbrücke auf der (gefühlt) stündlich endlos lange Güterzüge rattern, nicht ohne sich vorher durch laute Signale anzukündigen.
Im Taxi fahren wir von unserem Stellplatz aus ins Zentrum der Stadt. Die Fahrt zur Rushhour dauert ca. 30 Minuten und kostet ganze 240 Rubel (etwas über drei Euro, für einen Liter Diesel kostet 50 Rubel, 65 cent) Im Zentrum steigen wir wieder am Ufer der Wologda aus. Wir stehen vor einem Denkmal, welches an eine alte Kirche erinnern soll und von den Einheimischen „Ofen“ genannt wird. Piotr erzählt uns von der Geschichte seiner Heimatstadt. Doch es ist schon zu spät, wird zeitig dunkel, stürmt und nieselt leicht, da fällt es schwer, die richtige Begeisterung für diese Stadt, die einmal rund 60 Kirchen stehen hatte, aufkommen zu lassen. Ein Grad, Wind und Regen fühlen sich halt kälter an, als minus 15 Grad bei trockenem Schnee. Am Ufer entlang ein Park mit schmucken Bänken. Im Sommer sollen hier Musiker spielen. Wir sehnen uns nach einem warmes Lokal und machen uns auf dem Weg. Allein auf dieser kurzen Strecke lässt sich erahnen, was für eine wunderschöne Gegend das hier sein könnte, wenn man nur die Mittel hätte, all diese herrlichen Holzhäuser zu sanieren. Lauter kleine Villen, reich verziert mit Schnitzereien an Fenstern und Dächern. Eigentlich ein Traum.
Irgendwann finden wir uns im Lokal „Montblanc“ ein. Hier ist Name auch Programm. Alles ist ganz in Weiß gehalten und man gibt sich vornehm mit weißen Handschuhen. Oh je, ob wir hier so richtig sind. Andererseits auch egal, wir sind die einzigen Gäste, hier ist es warm und solange es ein Bierchen und etwas zu essen gibt, soll es uns recht sein. Wir belegen einen großen runden Tisch und bestellen von der reichhaltigen Karte, die wir Dank Google Übersetzer auch lesen können. Google Übersetzer sorgt auch regelmäßig für viel Unterhaltung bei der Menüauswahl, wenn es dann „Zarter Salat mit Cranberry Betankung“ gibt. Herbert isst meistens griechischen Salat, weil es in einer meiner ersten Russisch Lektionen bei Bubbel als Vokabel vorkam und leicht zu merken war. Außerdem sind wir mit einer Soljanka stets gut bedient und die gibt es so gut wie überall. Ich bestelle mir ganz landestypisch ein Boeuf Stroganoff und werde doppelt überrascht. Nicht nur dass es ohne stundenlanges Warten serviert wird, sondern auch, weil es zudem noch lecker ist.
Ein wenig später gesellt sich noch die Frau unseres Dolmetschers zu uns, es ist schließlich sein Wohn- und Heimatort. Wir unterhalten uns über die Stadt und ihre Probleme. Neben der Unzufriedenheit mit dem unbeliebten Bürgermeister und der lokalen Politik ist ein großes Problem die hohe Zahl krimineller Jugendlicher und der dadurch entstehenden „Unterwelt“. Es gibt allein hier in Wologda vier Kinderheime mit jeweils rund 100 Kindern. Sie stammen aus schwierigen, finanziell prekären Verhältnissen. Insbesondere überforderte und arme Familien aus den Dörfern im Norden geben ihre Kinder in staatlichen Kinderheimen ab. Auch hier erreicht mich raue Wirklichkeit und ich denke an unser Gespräch mit Roman in Archangelsk zurück. Gerne würde ich mehr erfahren doch dieser riesige runde Tisch lässt kein wirkliches Gespräch, außer mit deinem Tischnachbarn zu.