Unterwegs mit Herbuli

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Verdammt kalt hier

Der heutige Tag ist eine Stunde länger für uns. Wir sind zurück aus Finnland und vor ca. zwei Stunden in Norwegen eingereist. Die Grenze lag auch dieses Mal einsam und verlassen und zudem in totaler Dunkelheit. Von Kontrollen nichts zu sehen. Allerdings sind das hier auch immer absolut kleine Grenzübergangsstationen mit sehr, sehr, sehr wenig Verkehr.

 

Doch zurück nach Pallastunturi. Unser nächstes Ziel ist es, die Straße Nummer 955 nach Inari zu befahren, sie soll landschaftlich besonders schön und die Gegend eine der am dünnsten besiedelten Finnlands sein. Da ich nicht gerne eine Strecke auf gleicher Linie zurück fahre, haben wir uns eine Alternativroute über kleine Dörfer herausgesucht aber wegen der Wanderung kommen wir erst gegen drei los. Bevor es dunkel wird, halten wir in einem kleinen Ort namens Tepasto und machen es uns gemütlich. Am nächsten Morgen mache ich noch eine ausgiebige Hunderunde auf einem zugefrorenen Fluss und bin beeindruckt von der absoluten Stille um mich herum. Einzig das Rascheln von Paulas Wintermantel und meine knirschenden Schritte im Schnee sind zu hören, sonst absolut nichts.

 

Zurück im Womo gibt es Frühstück und wir starten weiter auf unserer Route über die Dörfer. Nach ca. 20 Kilometern soll es in Lompolo rechts ab Richtung Osten gehen und uns nach weiteren 20 Kilometern auf die 955 bringen. Hinter Lompolo fällt mir auf, dass ich wohl den Abzweig übersehen habe. Ich wende und wir fahren zurück, bis wir auf unserem Navi den Abzweig finden. Hm, ziemlich kleine Straßen fahren wir ja schon die ganze Zeit, nun aber wird sie noch schmaler. Gegenverkehr sollte da keiner mehr kommen. Die Straße ist zwar geschoben aber man sieht, dass sie wenig befahren ist. Wir wagen es.

 

Nach gut einem Kilometer endet der geräumte Teil und nur noch von Schneemobilen gespurte Wege gehen weiter. Das ist uns jetzt doch zu heikel. Ca. 20 Kilometer auf diese Weise durch den Wald? Allein unterwegs, wollen wir dieses Risiko, uns festzufahren nicht eingehen und ich wende an einer kleinen „Schneemobil-Kreuzung“. Uns begegnet ein Herr mit Hund und wir fragen ihn nach dem Weg nach Pokka. Er winkt ab und meint wir müssten zurück, über Levi fahren. Es hilft nichts, wir müssen die letzten 20 Kilometer und dann nochmal weitere 25 Kilometer zurück fahren und dann, ganz ordentlich kurz vor Levi, in die 955 einbiegen. Wir fühlen uns an unser kleines Abenteuer im Iran erinnert auf dem Weg zu einer bestimmten kleinen Kirche, als wir uns bei verschiedenen Einwohnern nach dem Weg erkundigen und einer meinte, yes, yes, immer geradeaus und der nächste meinte no, no, da kämen wir nicht durch. Damals hatten wir uns für die „Yes-Variante“ entschieden, waren aber auch mit zwei Fahrzeugen unterwegs, und hatten definitiv unser Abenteuer. Aber die Geschichte steht in unserem Oman-Bericht.

 

Angekommen auf der 955 entpuppt diese sich nach und nach wirklich als landschaftlich ausgesprochen schöne Straße. Anfänglich noch mit einigen Baustellen versehen, können wir mehr oder weniger die Landung von Heißluftballons beobachten. Am Straßenrand steht eine Kolonne deutscher Fahrzeuge mit Anhängern. Sie und die Ballonfahrer gehören offensichtlich zusammen. Ein paar Kilometer weiter fällt mir auf, dass die Gebiete rechts und links der Straße gut gesichert sind. Ein Blick auf Google Maps sagt mir, dass hier die Porsche Ice Driving Area Finnland ist. Das erklärt die Sicherheitsvorkehrungen.

Typische Kreuzung für/mit Schneemobilen

 

Je weiter wir fahren, desto einsamer wird es auf der Straße. Die Strecke von Levi nach Inari ist ca. 180 Kilometer lang, es gibt nur wenige Ortschaften und im Grunde keine Tankstellen. Die Dörfer sind als solche kaum zu erkennen. Es gibt quasi ein Ortsschild mit Namen und dann sieht man ab und an rechts und links freigeschobene Wege in den Wald, manchmal haben diese Wege einen Namen, oft aber nur eine Nummer und an der Anzahl der Briefkästen, die allesamt am Straßenrand stehen, lässt sich erahnen, wieviele Häuser wohl entlang des Weges, wer weiß wie tief im Wald versteckt, liegen. Von Menschen oder Geschäften keine Spur.

 

Der Wald ist nicht sonderlich hoch gewachsen in dieser Gegend, dafür ist alles wie verzaubert zugefroren. Jeder Baum ist bis in die Spitzen glitzernd weiß überzogen. Dazu die Sonne – wir können uns kaum satt sehen an diesem wunderschönen Anblick. Nach ca. 60 Kilometern kommt Pokka, einer dieser besagten unscheinbaren Orte. Aber Pokka hat sogar eine Bar und laut Straßenschild auch eine Tankstelle. Doch der Anblick der Zapfsäulen lässt uns nicht glauben, dass da noch was raus kommt. Wir parken unser Auto ca. 200 Meter weiter auf einem kleinen Parkplatz, der wieder einmal gleichzeitig Müllsammelstelle des Ortes ist. Es ist lausig kalt und so wird unsere anschließende Hunderunde nicht sehr lang. Paula fühlt sich sichtlich unwohl und wir bringen sie zurück ins Womo.

 

In Finnland brauchen wir wieder Masken und so packen wir uns welche ein und marschieren nochmal zur Bar, vielleicht ergibt sich irgend etwas nettes, wie ein leckeres Abendessen. Doch weit gefehlt. Drinnen eine Mischung aus Imbiss mit second hand Markt. Die ältere Dame hinter dem Tresen spricht kein Englisch, wir kein Finnisch und so ist die Kommunikation schmal. Sie scheint auch nicht sonderlich interessiert aber dennoch bestellen wir einen Tee und kaufen das einzig essbare, ein Stück Kuchen, auch wenn es uns dafür eigentlich schon zu spät ist. Die Dame verschwindet wieder in die hinteren Räumlichkeiten, vermutlich zum Fernseher, den wir laufen hören. Eigentlich hatte ich fragen wollen, ob die Rentierfelle, die dort auslagen, zu verkaufen seien aber das Fernsehprogramm war wohl spannender und wir zogen von dannen.

 

Hatte ich erwähnt, dass es kalt ist, ich meine bitter kalt? Ich habe unser Wohnmobil inspiziert und stelle fest, dass sich der Frost, trotzt Heizens und Lüftens, an einigen Stellen ziemlich weit ins Innere vorgearbeitet hat. Draußen hat es -29 Grad.

 

Wir wissen inzwischen, dass wir unserem Motor vor der Weiterfahrt einige Zeit zum Warmwerden gönnen müssen und starten ihn schon vor dem Frühstück. Klingt nicht gerade klimaschonend und Co2-neutral, ist aber ohne Standheizung nicht zu umgehen. Doch heute klingt der Startversuch noch kläglicher als die Tage zuvor. Die gesamte Elektronik hat sich bei der Kälte verabschiedet, es geht gar nichts. Mit meinem Infrarottemperaturmessgerät lese ich schlappe -43 Grad im Motorblock ab, ich kann es kaum glauben. Das muss ein Fehler sein. Wir prüfen, ob das Kühlwasser bereits eingefroren ist aber dem scheint zum Glück nicht so zu sein.

 

Gegen 10 Uhr kommt eine Frau mit einem T6 auf den Parkplatz, um eine Pause zu machen. Nach ihrem Frühstück fährt sie so an uns heran, dass sie uns Starthilfe geben kann. Doch Fehlanzeige, die Batterie des Bullis scheint es nicht zu schaffen, unserem IVECO den nötigen Booster zu geben.

 

Wir marschieren nochmal zur Bar. Diesmal steht ein Herr hinter der Theke und amüsiert sich über unsere Geschichte. Wir sind nicht die Ersten, die Probleme mit dem Motor haben und werden wohl auch nicht die Letzten sein. Er meinte, es sei die Nacht sehr kalt gewesen, minus 36 Grad und es habe immer noch minus 32 Grad. Wir bekommen von ihm eine Telefonnummer für den nächst gelegenen Pannendienst und er übernimmt auf finnisch die erste Kontaktaufnahme.

 

Die folgenden zwei Stunden habe ich viel Kontakt mit Elisa aus Kittilä. Sie sitzt im Büro und koordiniert die eingehenden Notfälle. Sie haben zwei Fahrzeuge und beide seien im Einsatz.

Wir tauschen Daten miteinander aus und ich schicke ihr ein Foto vom Fahrzeug, damit Sie einschätzen kann, was da wo steht. Elisa gibt mir den Preis durch, was es kosten würde, zu uns raus zu kommen, denn wir sind rund 60 Kilometer entfernt. Ich schlucke aber unter Umständen müssen wir in den sauren Apfel beißen. Elisa meldet sich wieder. Es ist unklar, ob wir nur einen ordentlichen Energieschub für unsere Batterie oder in eine Halle zum Auftauen geschleppt werden müssen. Im letzteren Falle müsse das größere Fahrzeug kommen und das sei derzeit in Rovaniemi, nochmal 100 Kilometer weiter entfernt. Außerdem sei ja Covid und der Fahrer habe Anweisung keine Personen im Abschleppwagen mitzunehmen, wir müssten also mit einem Taxi separat fahren,....großes Kino.

 

Während der ganzen Zeit lassen wir den Generator laufen und versuchen, unsere Batterie auf diese Weise aufzuladen, das dauert allerdings. Geduld ist nicht ganz unsere Stärke bei dieser Kälte, da auch die Anzeige für unseren Gasvorrat zum Heizen sich unerbittlich weiter bewegt und wir erst im 300 Kilometer entfernten Alta Gas tanken können. Inzwischen ist es 14 Uhr und Elisa fragt, ob der Fahrer losfahren soll? Ich bitte sie, noch zu warten, da ich inzwischen eine weitere Telefonnummer eines anderen Pannendienstes habe.

 

Gegen 15 Uhr kann Herbert einen vorbeifahrenden Sprinter aus Norwegen motivieren, anzuhalten. Es wird schon wieder langsam dunkel und, was viel schlimmer ist, auch wieder kälter. Der dritte Versuch mit dem Sprinter klappt und wir sind total erleichtert. Ich springe zurück ins Womo und greife nach einer Flasche Sekt, die ich den hilfsbereiten Herren noch schnell durchs Autofenster reiche, bevor sie ihren Weg fortsetzen.

 

Der Motor klingt gequält und wir werden ihn auch eine Stunde laufen lassen, bevor wir weiter fahren. Gegen 16 Uhr ist es zwar so gut wie dunkel aber wir machen uns auf den Weg ins rund 110 Kilometer entfernte Inari. Ein bisschen schade ist es, dass wir diese so verzauberte Landschaft nun nur im Dunkeln sehen aber das ist nun mal so. Gemeinsam halten wir die Augen auf, denn die Rentiere gehen sehr gerne auf den Straßen umher. Gegen 18 Uhr sind wir in Inari, tanken noch eine Runde und suchen uns ein Plätzchen für die Nacht. Die Temperaturen sind hier „nur“ bei minus 28 Grad und wir entscheiden uns für einen zentralen Schlafplatz, an dem sich ggf. schnell ein Helfer findet, falls unser Auto wieder keine Möge hat, anzuspringen. Gleichzeitig basteln wir mit Verlängerungskabel und dem Batterieladegerät eine Verbindung zwischen Wechselrichter (Aufbaubatterie) und Starterbatterie, um so vielleicht dafür zu sorgen, dass die inzwischen wieder volle Batterie sich nicht wieder entlädt. Anschließend gehen wir in einer Bar in der Nähe eine Pizza essen und trinken ein Bierchen als Absacker nach diesem Tag.

 

In der Nacht schlafe ich unruhig, horche immer wieder, ob die Heizung noch läuft und überprüfe, ob der Wechselrichter noch an ist und unsere Starterbatterie versorgt. Gegen drei ist der Wechselrichter aus und ich muss ihn neu starten, die Heizung läuft dagegen einwandfrei. Ich merke, dass ich auf dieser Reise im Grunde erstmalig unser Auto kennen lerne und Herbert amüsiert sich über meine vielen Fragen ....