Hundeschlittenrennen
In Särna angekommen orientieren wir uns eine Runde auf dem Campingplatzgelände, auf dem die Veranstaltung ihren Hauptsitz hat. Einige Teams haben hier Quartier bezogen und wohnen in kleinen Blockhäuschen, ihrem Camper oder im Zelt. Der Platz liegt direkt an einem großen See, auf dem die Rennen starten. Für die übrigen Reisenden ist der Campingplatz derweil gesperrt und so ziehen wir uns für die Nacht auf den Parkplatz eines geschlossenen Museums zurück.
Insgesamt gehen rund 80 Teams an den Start, verteilt auf drei Starttage (Mo, Di, Mi) und verschiedene Kategorien. Der Unterschied liegt in der Länge der Strecke, ob 160 oder 300 Kilometer, in der Anzahl der Hunde (2, 4, 8, 12) und in der Hunderasse. Das Besondere an dem Wettkampf in diesem Jahr ist, dass es erstmals eine Kategorie gibt, in der es egal ist, welcher Rasse die Hunde angehören. Einige Wettkämpfe gehören zur Kategorie der Weltmeisterschaft.
Montag gehen die sog. Nordic Gruppen an den Start. In dieser Gruppe ist die Hunderasse egal. Zwei oder vier Hunde ziehen einen Schlitten, auf dem das Gepäck verstaut ist und der sog. Musher, wie die Fahrer der Schlitten genannt werden, folgt dem Schlitten auf Langlaufskiern. Das nenne ich mal einen Marathon.
Am Sonntag beobachten wir Veterinär-Teams und die Rennleitung auf dem Gelände. Beide Einheiten besuchen jeden Teilnehmer, der am Folgetag startet, an seinem Platz. Die Hunde werden intensiv untersucht, abgehört, die Mikrochips abgeglichen, die Gelenke abgetastet.
Die Rennleitung untersucht derweil das Begleitgepäck. Wir beobachten, wie gerade ein junger Norweger an der Reihe ist. Alles Mögliche muss er vorzeigen und auspacken. Nachdem die Rennleitung zum Nächsten weiter gezogen ist, sprechen wir ihn an und stellen ihm neugierig unsere Fragen.
Er hat die Startnummer 6 und ist mit seinen zwei Hunden für die 300 km Nordic gemeldet. Es gibt klare Vorschriften, was als Minimalausstattung dabei sein muss. Jeder Fahrer muss sich und seine Hunde während des Rennens komplett alleine versorgen und somit alles dabei haben. Außerdem muss er darüber hinaus sowohl für sich als auch für seine Hunde Notproviant für weitere 24 Stunden auf dem Schlitten haben. Dieses Notgepäck muss beim Zieleinlauf Original verpackt vorgezeigt werden.
Auf dem Schlitten muss jeder Teilnehmer Zelt, Isomatte, Schlafsack, Lebensmittel, Kocher, Hundefutter, Kompass, bestimmte Karten der Region, Messer und so einiges mehr transportieren. Er darf einen sog. Stationsbeutel abgeben, der von der Rennleitung zum ersten Zwischenstopp transportiert wird. In dem Beutel befindet sich z.B. weiteres Futter für die Hunde. Es ist nämlich so, dass es auf der Distanz von 300 km zwei Pflichtstopps gibt. Nach 85 und nach 150 Kilometern müssen die Hunde eine Pause von vier bzw. sechs Stunden einlegen. Dabei werden sie beim Eintreffen und vor dem Verlassen der Station tierärztlich untersucht. Natürlich kann man auch mehr Pausen einlegen, das ist komplett individuell.
Jeder Teilnehmer trägt während des Wettkampfes einen Sender bei sich und kann so von jedermann verfolgt werden. Reißt der Kontakt zu einem Teilnehmer ab, so wird erst nach Ablauf von 24 Stunden mit der Suche begonnen. Betritt ein Fahrer oder ein Hund während des Wettkampfes ein Auto/Wohnmobil/Haus wird er disqualifiziert. Wir werden ihn in den nächsten Tagen via Internet tracken und seinen Lauf verfolgen.
Die Rennen starten auf dem See und gehen nach einigen Hundert Metern hinein in den Wald und weiter ins sog. Fjäll, wie Landschaftsbereich oberhalb der Baumgrenze genannt wird. Der ganze Norden Skandinaviens ist grenzüberschreitend mit einem Wegenetz für Schneemobilfahrer durchzogen. Es gibt extra Verkehrsschilder und Markierungen für die Snowmobile und mitten in der Pampa oder mitten auf einem See Hinweisschilder auf Ortschaften und Tankstellen. Auf einer dieser mit roten Kreuzen markierten Route verläuft das Rennen.
Am Abend gehen wir im Restaurant vom Campingplatz essen. Im Laufe des heutigen Montages sind mehrere deutsche Teams eingetroffen. Drei Frauen setzen sich neben uns und schnell kommen wir ins Gespräch. Eine der Frauen startet am nächsten Tag mit einem 8er-Gespann und eine am übernächsten Tag mit einem 12er-Gespann. Die Frau, die am Mittwoch mit ihrem 12er-Gespann auf die 300 Kilometertour geht, heißt Angela W. und ist in ihrer Klasse deutsche Meisterin. Eine resolut und eher rustikal daherkommende kommunikative Frau in einem neongelben Arbeitsoverall. Wir waren schon zuvor auf dem Campingplatz kurz ins Gespräch gekommen, als wir sie beim Versorgen ihrer Hunde beobachtet haben. An diesem Abend erfahren wir eine ganze Menge über diese Art von Hundesport. Das richtige Füttern, wie soll es anders sein, ist eine große philosophische Angelegenheit und hier hat jeder sein eigenes Erfolgsrezept. Wir lernen, wie wichtig es ist, während eines Wettkampfes die Hunde nie in den Bereich des Hungers kommen zu lassen, da sie sonst unterzuckern und ihr Fressen dann unter Umständen gar nicht mehr anrühren. Angela stellt sich unterwegs regelmäßig den Wecker, um ihre Hunde auf der Strecke wirklich alle zwei Stunden mit kleinen Happen zu füttern. Wir erfahren, wie schwer es sein kann, sich im Gelände zu orientieren, wenn Schneesturm die Spur zuweht und wie verletzungsanfällig dieser Sport sein kann.
Den Winter verbringt Angela mehrheitlich hier oben in der Nähe von Särna, wo sie inzwischen ein Grundstück besitzt, um auf Schnee zu trainieren. Ansonsten lebt sie in Sachsen-Anhalt. Das scheinen mehrere Deutsche so zu machen, wie wir feststellen. Wer dieses nicht ganz preiswerte Hobby ernsthaft betreibt, hat offensichtlich hier oben in Schweden eine Bleibe.
Jeder Teilnehmer hat auch einen sog. „Handler“ an seiner Seite. Dabei handelt es sich um eine Helferin oder einen Helfer, der die Hunde mit versorgt, mit zum Start führt und so lange am Start mit im Zaum hält, bis quasi der „Startschuss“ fällt. Natürlich wird nicht geschossen, sondern ein Fahnensignal gibt den Weg frei. Außerdem darf der Handler als Einziger bei den Stationen unterwegs dabei sein. Seine Aufgabe ist es dann, die Hunde zu beobachten, während der Fahrer evtl. schläft und diesen ggf. zu wecken, wenn sich um die Hunde gekümmert werden muss. Er darf in keiner Weise helfen. Seine eigentliche Aufgabe ist es, im Notfall Hunde entgegen zu nehmen, falls sich ein Tier verletzt oder Fahrer oder Tierarzt entscheiden, ein Tier aus dem Gespann zu nehmen.
Die Starts selber sind eine quirlige, laute Angelegenheit. Die Hunde stehen unter einer enormen Spannung, bellen und jaulen und schmeißen sich ins Geschirr. Es kostet bestimmt viel Kraft, sie im Zaum zu halten, auch wenn alle Hunde einen ausgesprochen gut erzogenen Eindruck erwecken. Immer wieder müssen Leinen neu sortiert werden und ggf. auch mal der Rückwärtsgang eingelegt werden, wenn sich, wie heute Morgen der Fall, ein Anker gelöst hat und die Meute fünf Minuten zu früh nach vorne geprescht ist.
Wenn dann das Fahnensignal kommt, die Anker am Schlitten gelöst und die Hunde losgelassen werden, kehrt augenblicklich Ruhe ein und es drängt ein jedes Gespann nach vorne. Manche Hunde kommen erst in aller letzten Sekunde zum Start und werden erst dort eingespannt oder Teilnehmer machen einen sog. fliegenden Start, sie kommen wirklich erst so spät zum Start, dass sie durchfahren können und nicht mehr an der Startlinie anhalten müssen.
Mit dem Anblick des Starts der Achter-Schlitten beenden wir unseren Aufenthalt in Särna. Zweieinhalb intensive Tage liegen hinter uns mit so vielen Gesprächen und Menschen um uns herum, wie in den ganzen sieben Wochen zuvor nicht. Es war eine ausgesprochen angenehme Atmosphäre, überall durfte man hin und ein jeder war sehr auskunftsfreudig. Nun fahren wir weiter Richtung Heimat und verfolgen die Rennen im Internet.